Der zweite Tag eines Festivals hat es immer schwer. Während sich am ersten Tag alle auf irgendwelche Headliner freuen bleibt am zweiten Tag oft die Frage: Und was kommt jetzt noch? Sprich der Veranstalter muss sich stets was neues einfallen lassen. Gegen die sinkende Publikumsenergie wirkten auf dem M´era Bands wie Agonoize, Hocico, Combichrist, Apoptygma Berzerk oder gar den legendären DAF und Fields of the Nephilim. So war für die meisten Besucher klar, dass auch der Sonntag wieder ein Kracher werden würde.
Außerdem typische Symptome für den zweiten Festivaltag:
Ein schwerer Kopf vom schweren Wein, ein laaaangsamer Start in den Tag und eine kolossal lange Warteschlange vor den Duschen und den WCs.
Aber gerade auch ein wenig Restblut im Alkohol bringt Schwung in müde Knochen (oder wohl doch mehr der Wille noch mehr zu feiern) und macht einen sonst eher verhangenen Tag zum lustigen Spaß für die ganze Familie. Dumm nur, dass die Mucke so schonungslos brutal auf den Schädel einhämmert…
Der Sonntag beginnt mit einigen kleineren Nieselregen und mit Mono Inc. Als die Band anfängt zu spielen nieselt es allerdings schon nicht mehr sondern regnet mittlerweile leicht vor sich hin. Die wenigen Reste der feiernden Heerscharen aus aller Welt von gestern haben sich in Mülltüten oder Festivalponchos gewickelt und stolpern noch ein wenig unbeholfen aber zielsicher durch die Gegend und zur Bühne, wo so langsam aber sicher der ein oder andere eindröppelt um zu schauen was denn da los ist. So überrascht es nicht wirklich, dass bei diesem etwas driesigen Wetter und dem ganzen Feiern von gestern das Publikum noch sehr leer ist und entweder weiterfeiert, vor der Dusche rumsteht, den Rausch ausschläft oder was man eben sonst so auf einem Festival dieser Größenordnung so macht. Von der Musik angezogen ist der Platz am Ende des Auftritts dann zwar auch spürbar voller, alles in allem allerdings immer noch ziemlich leer. Die Stimmung ist bei der Rockmusik immerhin ganz gut unter den Regenschirmen und -jacken, der Höhepunkt der Show ist klar der Song „Temple of the Torn“ vom gleichnamigen Album. Wenn man als Band jetzt spielt hat man eigentlich die Arschkarte gezogen.
Auch in der Halle ist alles noch sehr persönlich gehalten. Irfan geben hier eine Art Ethnopaganfolk von sich, der zwar mit vielen Mandolinen, Tamborinen und Bongos eine ungewöhnliche Instrumentierung hat, die Musik ist für diese Uhrzeit aber irgendwie eine Nummer zu abgefahren. Fixpunkt der Bulgaren ist ganz klar Dead Can Dance, von denen auch ein Cover zum Abschluss der Show gespielt wird und vom Publikum so euphorisch wie es zu dieser gottlosen Morgenzeit möglich ist, aufgenommen wird. Das interessante an dieser Band sind die vielen orientalischen Einflüsse in der Musik. Sehr nachteilig ist, meiner Meinung nach, allerdings, dass die Stücke sehr instrumental und ruhig sind. Sehr entspannend natürlich, aber mir persönlich wäre jetzt etwas mehr Ultrabrutale lieber. Geschlafen hab ich schließlich sowieso bei weitem nicht genug.
Weiter geht das kleine Märtyrium draußen mit End of Green, die gottseidank wieder etwas flotter spielen. Zwar dröhnt sich der Bass so langsam durch meine Schädeldecke und rührt mal eben fröhlich in meinem Hirn herum, aber der Rock mit der markanten Männerstimme und den sporadisch hörbaren Einflüssen von US-Punkbands macht (ausnahmsweise!) Spaß und ist wieder grippiger. Leider kommt trotzdem kaum Bewegung unter den Regenschirmen vor der Bühne auf, wenn man vom Klatschen mal absieht. Gespielt werden unter anderem „Dead End Hero“, „She´s Wild“, „Killhoney“ und „Drink myself to Sleep“. Zum Ende des Auftritts hin wird der Regen schlimmer und geradewegs heftig-strömend. Glücklich ist jetzt wer einen Regenschirm oder -poncho dabei hat. Alle anderen kaufen sich entweder einen an einem der zahlreichen Stände oder stellen sich unter einem der ebenso zahlreichen Fressstände unter. Auch im Pressezelt direkt bei der Hauptbühne wird es ungemütlicher. Hier haben die netten Genossen aus den Hotelzimmern der Umgebung wohl erholt den Kaffee und Kuchen übersprungen und sind dafür direkt zu Tratsch und Klatsch übergegangen – diese Weicheier!
Und wenn auf den Regen mal kein Sonnenschein folgt kann man sich immer noch zu Din(A)Tod in die Hangarhalle nebenan flüchten, wo der Regen scheißegal ist. Zu meiner großen Überraschung ist die Halle sogar voll – ob das wohl am Wetter oder an der Band liegt?
Weniger überraschend ist der gewohnt schlechte Sound und der herrlich kuschelig dröhnende Bass, der mir sagt dass ich noch lebe. Der Sound der Band ist elektronisch, mit einzeln eingeworfenen Akkorden aus hallend-verzerrten Gitarren. Ohne Regen ist die Menge auch gleich viel lebendiger. Die Menge tanzt, erst vereinzelt, zum Schluss schließlich der Großteil. Das verhaltene M´era Luna-Publikum fällt aber keineswegs aus der Rolle. Gerade beim eher mäßigen Applaus fällt auf, dass weiter hinten eigentlich gar keiner mehr mitklatscht. Naja, vielleicht wars ja doch nur der Regen, der die Leute reinzog. Vorgestellt wird allerdings auch ein neuer Song, der sehr geradlinig und deswegen sehr tanzbar ist. Es kommen 3-4 Zeilen Text vor, die immer wieder wiederholt und varriert werden.
Draußen regnet es immer noch, allerdings nicht mehr ganz so stark wie zuvor. The Other markieren etwa die Halbzeit der Rockbands am Sonntag und legen schön Horrorpunk auf, der sehr stark zum Mitmachen einlädt. Wenn nur nicht der Regen wäre….
Mittlerweile steht auch wieder ordentlich Publikum vor der Bühne und freut sich über das Drumgekloppe mit den vielen Aaahs und Ooohs, die in dieser Richtung durchaus üblich sind und bilden das erste Highlight des Sonntags. Aus der Menge der Lieder sticht unter anderem „Beware of Ghouls“ hervor. Das beste heben sich die vier Jungs aus Cöln aber bis zum Schluss auf: „We are the Other ones“. Und weil tatsächlich noch Zeit übrig ist spielen sie spontan noch einen Song. „Tonight we walk“ dürfte damit eine der ganz wenigen Zugaben auf dem Festival gewesen sein und wahrscheinlich die einzige, die noch nichtmal gefordert wurde.
Mit den Synthie-Poppern von Elegant Machinery ging es dann nach kurzer Wartezeit weiter. Die Musikveteranen, die, 1988 gegründet, bereits in den Neunziger Jahren große Erfolge feierten, hatten bereits eine bewegte Bandgeschichte hinter sich, und erschienen nach dem Austritt von Johan Malmgren auf dem diesjährigen M´era Luna erstmals wieder in vollständiger Besetzung.
Mit „Feel The Silence“, ihrem ersten Singlerelease seit ihrer Wiedervereinigung, fiel der Startschuss für eine mitreißende Show, die von alten Klassikern bis zu neuen Songs alles zu bieten hatte.
Das Publikum, zu dieser noch recht frühen Stunde schon zahlreich vertreten, feierte ausgelassen mit, und bewiesen ganz im Gegensatz zu Frontmann Robert, eine überraschende Textsicherheit.
Mit „Save Me“ ging es dann jedoch schon in die Zielgerade, so dass nach knappen vierzig Minuten nur die Vorfreude auf das neue Album im Oktober blieb, denn auch hier wurden Zugaben aufgrund des strengen Zeitplans leider nicht ermöglicht.
Härter ging es nun auf der Bühne weiter, die, im Gegensatz zum Samstag, heute Spielort der E-Gitarren und metalllastigen Töne war.
The Vision Bleak gaben sich die Ehre, und boten im Dauernebel eine der Uhrzeit vielleicht nicht ganz angemessene Show, denn Düsterrock mit einer Prise Deathmetal verliert im hellsten Mittagsschein einfach seine Wirkung. Das störte die Fans jedoch nicht im geringsten, und neben den obligatorischen Pommesgabeln schüttelte sich das ein oder andere Langhaar auch die letzte Müdigkeit aus dem Körper. Ganz wach schien man aber angesichts des frühen Nachmittags noch nicht zu sein, denn auf den Versuch, das Publikum zu einem Zungenbrecher-Sprechchor mit der Frage „can you say Cthulhu?“ zu animieren, kam außer lautem Geschrei und Gegrunze doch nicht allzu viel zurück.
„Warning – There will be blood on the floor!“. Mit diesen gutgemeinten Schildern kündigte sich das erste Highlight an diesem Nachmittag auf der Hangarbühne an. Die Rede ist natürlich von Agonoize, die ihrem Ruf, eine spritzige Show abzuliefern, am zweiten Festivaltag natürlich wieder gerecht wurden. War es am Vortag erst in den späten Abendstunden im Hangar stark gefüllt, stand man jetzt bereits 15 Minuten vor Konzertbeginn genervt am Eingang des Hangars, der so zum Bersten gefüllt war, dass die Security mit Absperrband einen Ausgang schuf, um den Verkehr wenigstens halbwegs zu regulieren. Während die Umbauarbeiten mit dem Theme zu „Wicki und die starken Männer“ unterlegt wurden (danke an dieser Stelle an diese „gelungene“ Abwechslung), schoben sich allerlei gefrustete Fotografen im Pulk nach vorne, um halbwegs pünktlich zum Konzertbeginn den Fotograben zu erreichen. Mit „Glaubenskrieger“ eröffneten dann Chris, Mike und Oliver ihren Auftritt, und knallten dem Publikum brachiale Beats entgegen. Wie gewohnt spritzte dann bei „Sacrifice“ das Kunstblut, und weißer Glibber bei „Koprolalie“ durch die ersten Reihen, was bei einigen dort anwesenden Damen für euphorische Kreischanfälle wie auf einem Robbie Williams sorgte.
Nach dem obligatorischen KISS-Cover „I was made for loving you“ war der Spuk auch schon vorbei, und eine ausgelassene und durchschwitzte Meute bahnte sich ihren Weg wieder aus dem Hangar heraus.
Lacrimas Profundere spielten zu diesem Zeitpunkt bereits seit einiger Zeit auf der Mainstage, wo sie sich inzwischen zu Hause fühlten. Nach einem mehr als gelungenen Auftritt auf dem diesjährigen Amphi Festival hatten die sympathischen Rocker einige Erwartungen zu erfüllen – und übertrafen diese sogar um Längen. Trotz eher wechselhaftem Wetter schafften sie es, dem Publikum zu Hits wie „Again it´s over“ und „My Mescaline“ einzuheizen, und zum tanzen zu bringen. Sehr gelungener Auftritt, und ganz sicher eines der Highlights auf der Mainstage am Sonntag.
War der Hangar am Sonntag eigentlich eher für Bands der elektrischen Fraktion reserviert, boten Eisbrecher einen harten Kontrast. Das schien auch Sänger Alexx so zu sehen, und so wies der die Anwesenden gleich zu Anfang darauf hin: „Übrigens, wir rocken!“
Der Hangar, wieder zum Bersten gefüllt, schien sich schon darauf vorbereitet zu haben und huldigten dem smarten Sänger entsprechend, der das Konzert sogleich mit „Kein Mitleid“ eröffnete. Nach „Leider“ und „Antikörper“ ließ es sich Alexx nicht nehmen, noch einmal darauf aufmerksam zu machen, dass „diese komischen Stöcke in unseren Händen“ Gitarren seien, die ja am heutigen Tag eher selten in dieser Halle zu sehen wären. Danach ging es weiter mit „Schwarze Witwe“ und „Vergissmeinnicht“, während dessen sich Alexx langsam seines Huts, seiner Brille und seiner Jacke entledigte, sich jedoch auf seinen Fitnesstrainer berief und die Hüllen trotz „Ausziehen!“-Rufen nicht weiter fallen ließ. Aber auch so war optisch wie akustisch genug zu erleben, denn Eisbrecher brachten die Halle wie erwartet zum Beben. Die Premiere ihres neuen Stücks „Kann denn Liebe Sünde sein“ stellte dann alles bereits Erlebte in den Schatten und brachte das Publikum förmlich zum Explodieren.
Nach „Mein Blut“ ging es dann jedoch mit „Miststück“ schon wieder dem Ende zu, und die Halle leerte sich um für den nächsten Act bzw. deren Fans Platz zu schaffen.
Währenddessen ging es draußen auf der Bühne mit Saltatio Mortis heiß her, die aus dem eher kühlen Nieselwetter versuchten das Beste zu machen und das Publikum anzustacheln. In den vorderen Reihen war die Stimmung ohne Frage gut, aber da Saltatio Mortis an diesem Tag mit ihrer Musik im Gesamtprogramm etwas alleine da standen, hielt sich das Ganze leider sehr in Grenzen. Trotz allem ein schöner Auftritt, denn die acht Spielmänner verstehen es einfach, sich und ihre Musik zu präsentieren.
Jetzt hieß es sich zu sputen, denn im Hangar dauerte es nicht lange, bis Combichrist das Elektrogewitter loslassen sollten. Keine drei Wochen vorher standen Andy und Co bereits auf der Theaterbühne des Kölner Amphi Festivals, jetzt spielten sie ein fast identisches Set in Hildesheim. Dabei gaben sie gleich von Anfang an alles, und knallten mit „Today I woke to the rain of blood“, „This is my rifle“ und „Elektrohead“ in den ersten 10 Minuten geballte Power in die feiernde Menge. Ein wie immer hyperaktiver Andy, der wie ein wilder Tiger die Bühne auf und ab hetzte, und ein Drummer, der einen Stick nach dem anderen durch die Gegend fetzte.
Leider hieß es nach kurzer Zeit schon wieder Abschied nehmen, denn die Mainstage lockte…
Apoptygma Berzerk, längere Zeit nicht mehr hierzulande auf Festivals gesehen, eröffneten ihre Show mit „Love never dies“ vor einer unglaublichen Zuschauermenge. Hatten die Norweger in der frühen Bandgeschichte eher ihre Schwerpunkte im elektronischen Bereich gesehen, wechselte die Stilrichtung in jüngster Vergangenheit mehr und mehr in rockigere Gefilde. Troz allem verwunderte es, dass gerade zu alten Hits wie „Unicorn“ oder „Deep Red“ die Stimmung sich eher Grenzen hielt, während die Massen zu „Shine On“ und „In this together“ aufdrehten, als gäbe es kein Morgen mehr. Bevor es mit „Non Stop Violence“ in den Endspurt ging, gab es für Stephan, der an diesem Tag Geburtstag hatte, einen Geburtstagskuchen sowie ein spontanes „Happy Birthday“-Ständchen aus dem Publikum, ehe die Band nach gerade einmal 50 Minuten Spielzeit die Bühne verließ, und somit ganze zehn Minuten früher aufhörte, als eigentlich geplant. Wartete man auf „Zugabe!“-Rufe, so hoffte man wohl vergebens, denn außer Pfiffen und verständnislosen Blicken kam von Seiten des Publikums herzlich wenig, so dass nach gut zwei Minuten die Lichter endgültig angingen und die Umbauarbeiten begannen.
Während Hocico im Hangar eine gewohnt aufgedrehte und höllisch laute Show ablieferten, wartete man vor der Mainstage bereits auf New Model Army, welche als vorletzte Band unter freiem Himmel starten sollten. Die Independent-Rocker aus Großbritannien starteten von der ersten Minute mit „Here comes the War“ an völlig durch. Wer gute 28 Jahre Bandgeschichte sein Eigen nennen kann, und durch viele Genres und Nationen einen Kultstatus besitzt, kann darauf vertrauen, bei Auftritten dieser Art von Seiten des Publikums einiges geboten zu bekommen. Dies äußerte sich vorwiegend in einer unbeschreiblichen Textsicherheit, die zigtausend Zuschauer an den Tag legten, und zusammen mit Justin Sullivan die großen alten und neuen Hits besangen.
Auch wenn das sonntägliche Programm noch etwas zu bieten hatte, stand der Höhepunkt für viele jetzt schon fest.
Mit der Deutsch-Amerikanischen-Freundschaft, kurz DAF, wurde im Hangar der Sonntag beschlossen. Das Duo, bereits seit den frühen 90er Jahren ein Begriff in der Szene, zog erwartungsgemäß viel Aufmerksamkeit auf sich, und spielte vor vollem Hangar. „Verschwende deine Jugend“ war die erste Botschaft, die Gabriel an diesem Abend zu bieten hatte, und welche entsprechend musikalisch unterlegt wurde.
Minimalistisch waren an diesem Abend jedoch nicht nur die Klänge, sondern auch das gebotene Bühnenprogramm, und auch wenn Gabriel wie gewohnt die Bühne auf und ab hetzte, seinen Oberkörper entkleidete und sich mit Wasser übergoss, so wirkte das alles doch eher unmotiviert.
Entsprechend enttäuscht hieß es für uns nach einer kurzen Stippvisite beim Mainstage-Headliner Fields of the Nephilim auch Abschied nehmen vom M´era Luna 2008.
Fazit
Das M´era Luna vereinte auch dieses Jahr die unterschiedlichsten Musikstile, und zog rekordverdächtige 23.000 Besucher aus aller Welt auf das Flughafengelände Drispensted nach Hildesheim. Ein zunehmend hochkarätiges Lineup und eine nahezu perfekte Organisation sorgten für ein stimmiges Feeling, auch wenn das Publikum auf den Konzerten selbst eher langweilig war. Viele Kritikpunkte der vergangenen Jahre wurden in diesem Jahr aufgegriffen, und auf Bitten der Pressevertreter, beispielsweise nach einem gesonderten Eingang für Fotografen in den Hangar-Fotograben oder einem zusätzlichen Fototermin auf dem Flugfeld-Tower professionell und freundlich reagiert.
Nicht alles war super auf diesem Festival, aber alles in allem war das M´era Luna dieses Jahr durchaus gelungen und so freuen wir uns schon jetzt auf das nächste Jahr!