Nach dem fulminanten postpandemischem Comeback der letzten zwei Jahre war es im August 2024 wieder so weit: Der Flugplatz Hildesheim verwandelte sich auf dem M’era Luna 2024 in ein pulsierendes Zentrum schwarzer Kultur. Und wie! Rund 25.000 Besucher:innen machten sich bei strahlendem Sommerwetter auf den Weg, um gemeinsam mit Gleichgesinnten zwei Tage voller Musik, Begegnungen und Festival-Magie zu erleben. Seit nunmehr 24 Jahren gehört das M’era Luna fest zur schwarzen Festivallandschaft – und auch dieses Jahr ließ das Line-Up keine Wünsche offen.
Die beiden Bühnen – die ikonische Main Stage und die futuristisch anmutende Club Stage – boten abermals ein sorgfältig kuratiertes Programm von rund 40 Bands. Besonders Letztere, die 2022 ihr Debüt als Open-Air-Bühne feierte, beeindruckte erneut mit ihrem UFO-Design und ihrer ganz eigenen Atmosphäre.
Wer sich zwischen Lesungen, Fashion Shows, Workshops und dem legendären Mittelaltermarkt nicht verlieren wollte, brauchte einen guten Plan – oder ließ sich einfach treiben. Besonders beliebt: Der Crypt-Talk am Freitagabend, bei dem Stephan Thanscheidt (FKP Scorpio) und Chris Harms (Lord of the Lost) nicht nur Einblicke ins Festivalgeschehen gaben, sondern auch mit Anekdoten punkteten. Kurz: Der perfekte Festivalauftakt!

Den ersten wuchtigen Dark-Rock-Moment auf der Main Stage lieferten Lacrimas Profundere – und wie! Die Jungs aus Waging am See zeigten, dass sie auch 2024 fest zur Szene gehören. Mit Klassikern wie „Ave End“ oder „My Release in Pain“ und einem Sound irgendwo zwischen Melancholie und Wucht brachten sie das Infield zum Beben. Besonders emotional: „Obscurity“, das viele Fans sichtbar bewegte. Ein Pflichttermin für Gothic-Rock-Fans – und ein starker Start in den Festivaltag.

Wer dachte, der Samstagmorgen würde gemächlich starten, wurde eines Besseren belehrt – Die Herren Wesselsky betraten die Bühne. Mit einer ordentlichen Portion Rock, NDH, Charisma und Selbstironie brachte die Formation um Alexx Wesselsky (vielen als Stimme von Eisbrecher bekannt) die Menge früh auf Betriebstemperatur. Mit Songs wie „Gott sein“, „Windkind“ oder „Wir sterben jung“ wurden nicht nur Genickmuskeln beansprucht, sondern auch breite Grinsen auf die Gesichter der Zuschauer:innen gezaubert. Solide, kraftvoll – und mit einem Augenzwinkern.

35 Jahre Oomph! – das wollte gefeiert werden! Trotz anfänglicher Skepsis bei manchem Fan wegen des Sängerwechsels (seit 2023 steht Der Schulz, ehemals Unzucht, am Mikro) herrschte beim Auftritt pure Feierlaune. Klassiker wie „Labyrinth“, „Augen auf!“ oder „Gott ist ein Popstar“ durften natürlich nicht fehlen und wurden lautstark mitgesungen. Die Band bewies eindrucksvoll, dass sie auch in neuer Konstellation zur Speerspitze der deutschsprachigen Industrial-Rock-Szene gehört. Energiegeladen, tight – und ganz sicher kein Schatten ihrer selbst.

Mit leichter Verzögerung – technischen Problemen sei „Dank“ – legten Hämatom eine Pyro-Show auf die Bretter, die das Zeug zur Legende hatte. Zwar musste der Auftritt etwas verkürzt werden, doch die maskierte Kombo aus Nord, Ost, Süd und Neuzugang Rose (die den 2023 verstorbenen Bassisten West auf der Bühne würdig ersetzt) ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. „Es regnet Bier“, „Wir sind Gott“ und das Marteria-Cover „Kids“ brachten das Infield zum Kochen. Wer hier stillstand, war definitiv falsch. Laut, wild, kompromisslos – Hämatom eben.

Deutlich ruhiger, aber nicht minder intensiv wurde es mit Deine Lakaien. Die Kombination aus Alexander Veljanovs tiefer Stimme und Ernst Horns avantgardistischen Klanglandschaften entfaltete gerade in der Nachmittagssonne eine hypnotische Wirkung. Songs wie „Love Me to the End“, „My Decision“ oder „Down Down Down“ sorgten für Gänsehaut und Momente der Kontemplation. Ein magischer Auftritt, der zeigte: Manchmal ist weniger einfach mehr.

Von wegen Stillstand! Mit Dudelsäcken, treibenden Drums und einer geballten Ladung Spielfreude stürmten Saltatio Mortis die Main Stage. Mittelalterrock vom Feinsten, gewürzt mit modernem Rock und sympathischer Publikumsnähe.
Ob „Wo sind die Clowns?“, „Eulenspiegel“ oder das emotionale „My Bonnie Mary“ – das Publikum war dabei, sang mit, sprang, feierte. Und das zu Recht: Mit ausverkauften Tourneen und Chartplatzierungen gehören die Spielleute zu den Schwergewichten der Szene.

Dunkler ging’s kaum – und genau so wollten es die Fans. Suicide Commando lieferten auf der Club Stage eine gnadenlose Show ab, die in puncto Härte und Düsternis ihresgleichen sucht. Johan Van Roy ließ Klassiker wie „Hellraiser“, „Comatose Delusion“ oder „Cause Of Death: Suicide“ vom Stapel, als gäbe es kein Morgen. Das Publikum? In Ekstase. Harte Beats, harsche Vocals, kalte Sounds – ein echtes Highlight für Liebhaber:innen der dunkleren elektronischen Gangart.

Co-Headliner am Samstagabend – und was für einer! Die belgische Legende Front 242 schickte mit „Don’t Crash“, „Masterhit“ oder „Tragedy For You“ tanzbare Schockwellen durchs Infield. Die Kombination aus EBM und Industrial, aus Retro und Relevanz, traf direkt ins Schwarze. Die Bühne vibrierte, das Publikum ebenso. Der Beweis, dass wahre Klassiker nie alt werden, sondern einfach reifen.

Wer könnte so einen Festivaltag besser abschließen als ASP? Der Mann mit der unverwechselbaren Stimme verwandelte die Main Stage in einen düsteren Klangkosmos, durchzogen von Poesie, Pathos und Energie. „Ich will brennen“, „Und wir tanzten“ oder das epische „Ich, der Teufel und du“ wurden mitgesungen, gefühlt, gefeiert. ASP bewiesen einmal mehr, dass sie live eine Bank sind – und das M’era Luna ohne sie einfach nicht komplett wäre. Ein Abschluss, wie er würdiger kaum sein könnte.
Nach den letzten Klängen verlor sich unser Team auf dem weitläufigen Festivalgelände. Mit ein oder zwei Met und der ein oder anderen Hopfenkaltschale wurde sich abgekühlt, bevor die Nacht im Discohangar bis in die frühen Morgenstunden fortgeführt wurde.
M’era Luna Festival 2024 – Sonntag, 11.08.2024
Nach einem fulminanten ersten Tag mit Headlinern wie ASP und Front 242 startete auch der Sonntag unter besten Bedingungen: Die Sonne meinte es fast schon zu gut, die Vorfreude lag spürbar in der Luft – und wer früh genug aufstand, konnte sich auf ein weiteres randvolles Festivalprogramm freuen.
Während einige Besucher:innen unter Sonnenschirmen und auf Picknickdecken eine wohlverdiente Verschnaufpause einlegten, versammelten sich andere in den schattigen Hangars, wo unter anderem Psychologin Lydia Benecke spannende Einblicke in Abgründe und Abgründe der menschlichen Psyche bot. Lesungen, Workshops und Gespräche mit Gleichgesinnten machten den Sonntag erneut zu mehr als einem reinen Musikfestival – M’era Luna bleibt eben ein Ort für Szene, Seele und Substanz.
Und musikalisch? Ging’s direkt wieder in die Vollen!

Der Nachmittag begann stahlhart – mit Stahlmann aus Göttingen. Für die NDH-Band war das fast ein Heimspiel, und so wurde die Bühne schnell zum brodelnden Kessel. Mit ihrem druckvollen Mix aus Industrial-Rock und metallischen Stakkato-Riffs, gepaart mit der charismatischen, tiefen Stimme von Sänger Mart, entfachten sie ein erstes Beben im Infield. Tracks wie „Asche zu Asche“, „Engel der Dunkelheit“ und das visuell unterlegte „Plasma“ gingen direkt ins Mark. Schwarz, hart, kompromisslos – genau so will man sie sehen.

Zeraphine
Mit etwas mehr Melancholie, aber nicht weniger Wucht, übernahmen anschließend Zeraphine die Main Stage. Sven Friedrich (vielen auch bekannt von Solar Fake) stand mit seiner markanten Stimme im Zentrum eines Sets voller Emotion und Tiefe. Songs wie „Be My Rain“ und „Kaltes Herz“ sorgten für Gänsehaut, während „Die Wirklichkeit“ das Publikum endgültig in die Welt zwischen Licht und Schatten entführte. Ein Auftritt wie ein bittersüßer Traum – und für viele ein stilles Highlight des Tages.

Wer auf düsteren Folk-Rock mit ordentlich Power steht, wurde bei dArtagnan bestens bedient. Mit neuem Album im Gepäck, Pyro auf der Bühne und ordentlich Drive im Sound heizten die Spielleute dem Publikum gehörig ein. Ob „Mosqueteros“, „Westwind“ oder das Cover „Hey Brother“ – das Infield wurde zur Tanzfläche. Frontmann Ben Metzner zeigte sich spielfreudig und sympathisch wie eh und je. Ein runder Auftritt mit Herzblut und Dudelsack!
Während auf zwei Bühnen ein Act nach dem anderen spielte, nutzte unser Redaktionsteam die Zeit, sich etwas auf dem Mittelaltermarkt umzuschauen. Wie auch in den letzten Jahren wurde hier viel geboten: Allerlei leckeres Essen wurde feilgeboten und gemütliche Lager luden zum Verweilen ein. Für das Bühnenprogramm war es noch zu früh, und so nutzten wir die Zeit um uns bei herrlichstem Wetter etwas zu erholen und auf das einzustimmen, was das M’era Luna 2024 noch für uns bereithielt.

Nach einer ausgiebigen Stärkung wurde es märchenhaft – im besten Sinne. Schandmaul sorgten auf der Main Stage für eine Zeitreise ins Mittelalter, mit viel Gefühl und jeder Menge instrumentaler Vielfalt. Nach der überstandenen Krebstherapie pausierte Frontmann Thomas Lindner stimmlich, wurde aber würdig vertreten – und die Fans feierten trotzdem aus vollem Herzen. Ob „Walpurgisnacht“, „Der Pfeiffer“ oder „Hexeneinmaleins“ – die Mischung aus Drehleier, Schalmei, Geige und Banjo verwandelte das Festivalgelände in ein klingendes Märchenbuch. Großartig!

Der frühe Abend gehörte der Club Stage – und Combichrist. Andy LaPlegua servierte ein Old-School-Set, das die Crowd direkt in die Nullerjahre zurückkatapultierte. „This Sh*t Will Fcuk You Up“ oder „Get Your Body Beat“ – es wurde gepogt, getanzt, geschwitzt. Die rohe Energie, die Combichrist ausmacht, war von der ersten Sekunde an spürbar. Laut, dreckig, unverblümt – genau so soll es sein.

Es wurde episch – und emotional. Und vorallem: heiß! Lord of the Lost betraten erneut die Main Stage und sorgten für ein Konzerterlebnis der besonderen Art. Frontmann Chris Harms dominierte mit düsterer Eleganz, unterstützt von einer perfekt eingespielten Band.
Zwischen hymnischem Bombast, zarter Melancholie und brachialer Härte bewegte sich das Set wie eine Sinfonie der Nacht. Pyro, Pathos und Power vereinten sich zu einer Performance, die das Publikum sichtbar mitriss – und für viele zum heimlichen Festivalhöhepunkt wurde. Getreu dem Motto „Was wollt ihr für Pyroeffekte?“ – „Ja!“ brannte die Band hier ein wahrhaftiges Feuerwerk ab.

Symphonic Metal auf höchstem Niveau: Epica rissen die Besucher:innen mit orchestralen Arrangements und Simone Simons’ gewaltiger Stimme förmlich mit. Songs wie „Cry for the Moon“ und „Victims of Contingency“ sorgten für kollektive Begeisterung, während „Design Your Universe“ einmal mehr zeigte, warum diese Band zu den Großen gehört. Zwischen harten Riffs, orchestralen Klangteppichen und sphärischer Atmosphäre fanden sich Gänsehaut-Momente am laufenden Band.

Den krönenden Abschluss bildete niemand Geringeres als VNV Nation. Ronan Harris brachte das Infield mit einer emotionalen Wucht zum Schwingen, die ihresgleichen suchte. Zwischen düsterem Future-Pop, Industrial und hymnischen Balladen entstand ein Soundgewand, das Herzen berührte und Beine bewegte. Klassiker wie „Nova“, „Illusion“ oder „Chrome“ wurden nicht nur gehört, sondern gespürt. Ein würdiger Headliner für den zweiten Festivaltag – und ein letztes musikalisches Ausrufezeichen vor der Heimreise.
Fazit
Zwei Tage, 25.000 schwarz-bunte Seelen, ein Festival voller Musik, Magie und Gemeinschaft. Das M’era Luna 2024 hat erneut bewiesen, dass es weit mehr ist als nur ein Festival – es ist ein Gefühl, eine Familie, ein Rückzugsort für alles Dunkle, Schöne, Schräge und Starke. Und wenn der Mond 2025 wieder flüstert, sind wir ganz sicher wieder da.