Eines mal vorab: Mit Hauptacts und den dazugehörigen Supportbands ist das ja bisweilen so eine Sache.
Als fleissiger Konzerbesucher begegnet man da doch immer wieder den merkwürdigsten Konstellationen und dabei auch gerne drei wirklich besonders unglücklichen Phänomenen.

Als da wären:

1. Dem Aufeinandertreffen zweier Bands, die im besten Fall vielleicht einen ähnlichen Kleidungsstil vorweisen können und augenscheinlich denselben Frisör besuchen, aber unter musikalischem Aspekt betrachtet, mal so überhaupt nicht zueinander passen wollen.

2. Vorbands, die ihren Job dermaßen müde runterspulen, dass man sich bis zum Antritt der Hauptband, selbst als Besucher kaum noch auf den Beinen halten kann.

3. Oder aber Supportacts, die ihre Aufgabe so gut meistern, dass sie die eigentliche Band weit in den Schatten stellen und der Konzertabend quasi nach der ersten Hälfte für alle bereits gelaufen ist.

Doch wo soviel Schatten fällt, da muss es auch Licht geben. Und tatsächlich – manchmal, ja manchmal erweist sich die Wahl von Supportband und Hauptact als derart brilliant, dass der Konzertabend für Fans beider Seiten zu einem wahrhaft unvergesslichen Ereignis wird und sich somit im Gegenzug auch für beide Bands als absoluter Zugewinn entpuppt.

In den Genuss ein solches Aufeinandertreffen zweier sich perfekt ergänzender Musikacts live miterleben zu dürfen, sollten nun die Besucher des gemeinsamen Konzertes von Mindless Self Indulgence und Big Boy am 04. Februar 2009 im Kölner Luxor Club kommen …

Mit beginnendem Einlass wird es recht schnell ziemlich eng und kuschelig in der mittelgrossen Location. Obwohl das Konzert an einem Mittwoch statt findet und die einströmenden Besucher vornehmlich recht jugendlich wirken und am Donnerstag Morgen bestimmt wieder pünktlich in der Schule sitzen müssen, spricht man an diesem Abend von einer ausverkauften Halle – und das will man, wenn man mitten im Geschehen steht, auch gerne glauben.

Der sich bietende Blick auf Outfits und Bandshirts, der Anwesenden und auch die ersten zaghaften MSI-Rufe lassen an dieser Stelle bereits erahnen, dass sich das Mengenverhältniss der Fans hierbei ein wenig zu Gunsten des Hauptacts verlagern wird. Für den Anfang zumindest.

Denn spätestens als Big Boy um Punkt 21.00 Uhr die Bühne entern verstummen diese Rufe augenblicklich und MSI geraten für die nächsten 30 Minuten erstmal in völlige Vergessenheit. „…You get what you deserve“ heisst es so schön in dem Intro zu dem Big Boy, A.K. Happy und Gabor ihre Positionen einnehmen und es stimmt – manchmal bekommt man im Leben tatsächlich genau das was man verdient, zumindest dann wenn man zu Gast auf einem Big Boy Konzert ist.

Sowohl der drahtige Frontman, als auch die Jungs an den Instrumenten laufen vom ersten Augenblick an auf Hochtouren und rocken was das Zeug hält. Dass sich Schlagzeuger Happy erst im letzten Monat einer Leistenbruch-OP unterziehen musste, will man kaum glauben.

Neben einer einwandfreien musikalischen Darbietung, weiss der zweifelsfrei charismatische Sänger der Band immer wieder mit kleinen, wohl dosierten Ansagen das Publikum zu binden. An die Tatsache, dass dabei früher, oder später immer irgendwelche Anekdoten über klassische Geschlechtserkrankungen, oder Ähnliches Erwähnung finden werden, muss man sich als Big Boy Konzertbesucher vermutlich im Laufe der Zeit einfach gewöhnen. Aber darüber hinwegzusehen fällt gar nicht mal so schwer, gibt es doch wohl keinen zweiten Menschen auf dieser Welt, der einem derart heikle Themen auch nur annähernd sympathisch verkaufen könnte, als nun mal Big Boy himself.

Fest steht jedenfalls die Show der Gothrocker mit dem gewissen Glamfaktor kann auf ganzer Linie überzeugen. Und zwar nicht nur die eingefleischten Big Boy Fans in den ersten Reihen, welche inzwischen neben den altbekannten Hits, auch schon die bislang noch unveröffentlichten Songs, wie das wunderschöne „Love is almost perfect“ fehlerfrei mitsingen können, sondern eben auch die anwesenden MSI-Anhänger.

Mit ihrer halbstündigen Performance, deren einziges Manko bleibt, dass die Zeit einfach viel zu schnell dahin fliegt, gelingt es den 4 Jungs von Big Boy deshalb spielend ein solides Fundament für den folgenden Auftritt von Mindless Self Indulgence zu mauern.

Der Auftritt von Mindless Self Indulgence beginnt nach einer kurzen Umbaupause um 22.00 Uhr. Doch noch vor ihrem eigentlichen Erscheinen auf der Bühne kann die Band, die ihren Musikstil selbst als „Industrial Jungle Pussy Punk“ bezeichnet einen dicken Bonuspunkt einheimsen. Und zwar mit ihrer Bühnendeko, die aus zwei grossen Bannern besteht, die einmal von einem kitschig, süssen Totenkopf und einem noch viel süsseren „My little Pony“-Einhorn im Gruftistyle geziert werden.

Diese Banner, in Kleinformat als Merchandise produziert, wären ohne Zweifel der Verkaufsschlager schlechthin für die Generation Emo.

Doch hinter dem Phänomen Mindless Self Indulgence steckt selbstredend mehr als nur ein gutes Händchen für Bühnendeko. Kaum haben die vier Amerikaner die Bühne in Beschlag genommen, verwandelt sich der Kölner Luxor Club im wahrsten Sinne des Wortes in einen Hexenkessel. Die Fans feiern und tanzen derart wild und ausgelassen, wie man es sonst nur von halblegalen Auftritten, schrammeliger Hinterhofpunkbands und deren Freunden kennt.

Nun wenn man davon spricht, dass MSI die Bühne betreten muss man dabei sagen, dass diese Band eine ganze eigene Auffasung und Vorstellung davon hat wo genau ihre Bühne beginnt und wo sie aufhört. Zwar konnte das Schlagzeug von Drummerin Kitty aus Platzgründen, nicht wie zunächst geplant mitten im Publikumsbereich aufgebaut werden, allerdings können solche Unwidrigkeiten weder Sänger Jimmy Urine, noch Gitarrist Steve Righ? – jawohl, das wird mit einem Fragezeichen geschrieben! – davon abhalten sich immer wieder unters Publikum zu mischen und dabei auch für die eine, oder andere Schrecksekunde sorgen, wenn sie sich z.B. plötzlich und klammheimlich an der Handtasche einer ahnunglosen Konzertbesucherin zu schaffen machen.

So unberechenbar wie die Bandmitglieder selbst klingt auch die Musik, die hier zum Besten gegeben wird, in den Ohren der Gäste. Das liegt vorallem daran, dass sich MSI auf die Fahnen geschrieben haben in kein gängiges Musikgenre passen zu wollen, sondern querbeet einfach all das kombinieren was den Künstlern gerade gefällt. Ob Rock, Hip Hop, Punk oder elektronische Spielereien – musikalische Grenzen sind den amerikanischen Exzentrikern definitiv fremd.

Als MSI Neuling fällt es einem deshalb bisweilen etwas schwer sich in diese komplexen Soundstrukturen einzuhören und sich in selbigen wiederzufinden. Das musikalische Chaos ufert teilweise derart aus, dass man den Anschein bekommen kann, eingängige Hörbarkeit und konstant bleibende Melodiebögen bilden für Mindless Self Indulgence das genaue Gegenteil zu einem anspruchsvollen Song.

Und trotzdem, selbst wenn man zwischendurch tatsächlich geneigt ist, sich vielleicht doch mal kurz die Ohren zuzuhalten, weil ein Song mal wieder in einem allzu laut ausgesteuertem „Geräusch“ endet; alleine die Show dieser verrückten Musiker die einfach niemals still stehen können zu beobachten entschädigt 1000 mal für jeden noch so schrägen Ton.

Während Sänger Jimmy, der auch schonmal gerne seinen blanken Hintern in Richtung Publikum streckt, oder mit fast freiem Oberkörper und rosa Elfenflügeln auf dem Rücken über die Bühne tänzelt, sich schnell als Liebling der Damenwelt outet, müssen die männlichen Konzertbesucher während der aktuellen Tour auf ihre Favoritin Lyn Z verzichten, da diese zur Zeit in anderen Umständen ist und deshalb selbstverständlich nicht mit auf der Bühne stehen kann.

Der Show im Gesamtbild betrachtet, tut dieser „Umstand“, auch wenn der bärtige, männliche Ersatzbassist vielleicht nicht so ganz Lyn Z´s fehlenden Attraktivitätsfaktor wett machen kann, allerdings keinen Abbruch.

Nach genau einer Stunde Spielzeit endet der amerikanischen Bühnenzauber und Mindless Self Indulgence entlassen, ohne grosses Abschiedsbrimborium, ein sichtlich zu Brei gerocktes, aber glückliches Publikum.

Fazit:

Dass Mindless Self Indulgence zufälligerweise genau aus dem Land angereist kamen, um uns ihre Vorstellung von ordentlichem Undergroundsound näher zu bringen, in dem die Jungs von Big Boy gerade versuchen Fuss zu fassen, ist definitiv nicht der einzigste gemeinsame Nenner, den man bei diesen beiden Ausnahmebands ausmachen konnte. Nach zwei Stunden Konzerterlebnis vom Feinsten liegt eines klar auf der Hand: Hier haben sich die zwei Richtigen, gesucht und gefunden.

Big Boy und Mindless Self Indulgence haben sich an diesem Abend sowohl vom musikalischen als auch vom Entertainmentfaktor perfekt ergänzt. Dabei konnten Mindless Self Indulgence hervorragend an die von Big Boy geleistete Vorarbeit anknüpfen und aufbauen, ohne in irgendeiner Form in Konkurrenz zu den sympathischen Glamrockern zu treten. Ganz im Gegenteil, beide Bands durften diesen Abend mit der guten Gewissheit beschliessen, die Musikarena als ebenbürtige Gewinner zu verlassen.
Die Schnittmenge gemeinsamer Fans sollte nach diesem gelungenen Zusammenspiel jedenfalls mehr als deutlich angewachsen sein.

MySpace Präsenz von Mindless Self Indulgence: www.myspace.com/mindlessselfindulgence

MySpace Präsenz von Big Boy: www.myspace.com/hailthebigboy

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Pamela Stahl
Pamela Stahl ist ehemalige Mitarbeiterin von Mindbreed.