Seit der Abkehr Alexx Wesselskys und Noel Pix´ von Megaherz und der Gründung der eigenen Band Eisbrecher vor etwa fünf Jahren hat die stilistisch zumindest in Richtung der neuen deutschen Härte zuzuschreibende Gruppe eine stetig fortlaufende Erfolgsgeschichte hingelegt, die nun mit dem neuen Album „Sünde“ ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Mindbreed hat vor dem Konzert in der Bochumer Matrix mit Gitarrist Jürgen und Bassist Olli sowie Sänger Alexx über die aktuelle Tour, das neue Album, Megaherz und die Sündhaftigkeit des Deutschseins gesprochen.

Torsten: Wir befinden uns jetzt in der Matrix in Bochum und gegenüber von mir sitzen Olli und Jürgen von Eisbrecher. Eigentlich sollte Alexx noch mit von der Partie sein aber der muss jetzt seine Stimme schonen. Wie geht es euch so kurz vor dem Auftritt? Alles fit?

Olli: Alles bestens! Wir sind mitten in der Tour, es läuft genial. Viele nette Menschen. Heute werden´s auch wieder… ich glaub 500 Karten sind schon verkauft oder mehr. Also es kann nur ein toller Abend werden! Wir sind entspannt und fühlen uns pudelwohl!

Jürgen: Ja, die Tour läuft super, die Kinderkrankheiten sind ausgemerzt, die man bei den ersten Shows noch hat. Deswegen blicken wir dem ganzen Abend enstpannt entgegen und freuen uns natürlich drauf in der geilen Matrix zu spielen. Wir waren ja auf der letzten Tour auch schonmal hier und das war wirklich eins der besten Konzerte der letzten Tour, deswegen freuen wir uns natürlich besonders auf heute Abend.

Torsten: Auch auf dieser Tour geht´s wieder nach Russland, was im ersten Moment vielleicht etwas ungewöhnlich ist. Wie kam es denn eigentlich dazu? Habt ihr viele Fans dort?

Jürgen: Ja. Also in Russland gibt´s eine große Szene von Leuten, die deutschsprachige Rockmusik gut finden und wir waren letztes Jahr schonmal in Moskau drüben und das wirklich Wahnsinn. Die Leute sind da abgegangen, das waren knapp tausend Leute, glaub ich, in dem Club Tocka. Es ist halt echt toll wenn du lauter Russen vor dir hast, die jede Zeile mitsingen können, obwohl sie´s am Ende wahrscheinlich nichtmal verstehen [lächelt]. Aber ja, die gehen voll drauf ab und es macht einen Riesenspaß dort drüben.

Torsten: Das wäre dann auch die nächste Frage gewesen, weil ihr mal gesagt habt, dass zu Eisbrecher eben halt auch deutsche Texte und ein deutsches Publikum gehören, damit die Leute eben halt auch verstehen was gesungen wird. Und die Frage wär halt gewissen ob ihr das Gefühl habt dass da überhaupt noch die Message rüberkommt? Ihr singt dort ja dann auch nicht auf russisch oder englisch.

Jürgen: Also ich kann da natürlich nicht für jeden sprechen, aber wenn man sich die ganzen russischen Foren im Internet mal anschaut gibt´s da wirklich Übersetzungen Wort für Wort und ich glaub schon, dass sich die Leute damit auseinandersetzen. Der erste Grund warum die Leute das hören ist natürlich die Musik, aber ich denke mal vielleicht gibt es auch Leute, die gerade wegen der Sprache die Musik hören, einfach weil sie andersartig ist.

Olli: Man hat denk ich mal schon so einen kleinen Exotenbonus. Also deutschsprachige Musik hat ja durch Rammstein im Ausland schon so viel Zusprache gefunden. Das war vor ein paar Jahren noch ganz anders. Ich meine was gabs denn? Die Scorpions, die hier und da mal was international unterwegs waren und ansonsten gabs ja nichts. Das wurde ja erst in den letzten Jahren so und ich denke mir das kann nur besser werden! Russland ist der Anfang!… wahrscheinlich… ich hoff´s… mal gucken!

Torsten: Früher wollten ja die ganzen Bands aus Deutschland immer rüber in die USA und dort dann Erfolg haben. Wenn man jetzt aber über den Tellerrand schaut sieht man dass viele deutsche oder gerade auch deutschsprachige Bands mehr und mehr nach Russland touren. Glaubt ihr dass damit die USA uninteressant geworden sind für deutsche Bands oder worin glaubt ihr liegt der Grund für diese Entwicklung?

Jürgen: Nein, ich glaub nicht, dass die USA uninteressant für deutsche Bands sind – ganz im Gegenteil! Ich glaube erstens ist das nochmal ein Riesenmarkt und zweitens sitzen da auch ganz viele Fans und da gibts genau so viele Foren. Es ist einfach eine Frage von der finanziellen Deckelung.

[mittlerweile setzt auch Alexx sich dazu]

Sobald das finanziell gewährleistet ist sind wir die ersten, die in den Flieger steigen und „Hurra!“ schreien. Also da spreche ich glaube ich für alle. Ich weiß nicht, der Chef ist auch da, vielleicht will er ja auch was sagen. Wie siehst du das so, deutschsprachige Bands in Amiland? Würdest du gern mal?

Alexx: Ja, das ist der große Plan 2009, jetzt kann ich´s ja verraten. Es heißt ja nicht, dass es klappt, aber wir verhandeln gerade mit einem US-Label und hoffen 2009 auch endlich mal den Sprung über den großen Teich zu schaffen, denn unsere größte ausländische Fanbase sitzt in Nordamerika. Also man sieht, dass in Bushistan noch nicht alles verloren ist.

Torsten: Man könnte eure Musik als sehr praktisch orientiert bezeichnen. Ihr legt einen großen Wert auf Tanzbarkeit und überzeugende Liveshows. Habt ihr nicht Angst dass Härte dieses Konzept gefährdet?

Jürgen: Ich glaube nicht, dass sich da einer Gedanken drüber macht ob jetzt eine Eisbrecherplatte hart wird oder nicht – das kommt aus dem Bauch raus und da ist überhaupt kein Kalkühl dahinter. Oder?

Olli: Ja, aber Härte kann man ja auch mit Tanzen verbinden. Das ist ja kein Thema.

Alexx: Ja, das ist wie Jürgen gerade gesagt hat: Es kommt aus dem Bauch raus. Und da kommt´s halt mal hart raus und mal nicht so hart. Und dann liegts halt im individuellen Geschmacksbereich was man halt toller findet. Ich denke mal harte Themen – harte Mucke. Wenn man es schafft Form und Inhalt stets beisammenzuhalten ist man auf dem richtigen Weg. Das haben wir ja in der Schule schon im Deutschunterricht gemerkt, ne? Es nutzt nichts wenn ich das und das sage, aber leider die komplett falsche Form wähle. Dann geht ´s nach hinten los. Weil ich denke Musik sollte schön offen bleiben und es gibt nicht Eisbrecher zu hart oder Eisbrecher zu weich und es gibt vor allem kein Baukastenprinzip für Eisbrechersongs, das passiert halt einfach. Und wenns nicht passt kann ich sagen: Macht nichts – Platte nicht kaufen!

Torsten: Bereits 1938 hat Zarah Leander im Film „Der Blauengel“ einen Song mit dem Titel „Kann denn Liebe Sünde sein?“ gesungen. Kann man da nach gezielten Bezugspunkten suchen oder ist das einfach nur Zufall weil die Worte „Liebe“ und „Sünde“ gut ins Konzept der aktuellen CD gepasst haben?

Alexx: Also ich kannte das Lied von Zarah Leander nicht. Liegt daran, dass ich 1938 noch nicht auf der Welt war. Allerdings hab ich dann später erfahren – ich hab´s mir erzählen lassen von meiner Oma – dass es das Lied schonmal gab und da war ich echt überrascht, aber dann hab ich festgestellt, dass außer dem Titel die beiden Songs gar nichts miteinander gemein haben. Soll ja schon öfter passiert sein, dass jemand Lieder geschrieben hat wie…“Ohne Dich“ gibts glaub ich auch schon dreißig millionen mal. Also kein Ding. Keine Parallelen sonst!

Torsten: Ja, stimmt. „Ohne Dich“ gibt es mittlerweile wirklich von fast jeder deutschsprachigen Band in irgendeiner Version. Ob das jetzt Eisbrecher ist oder Rammstein…

Alexx: Übrigens: Ganz wahr war das nicht was ich da gerade gesagt habe. Also man sieht ja auch, dass wir aufgrund dieses Schallplattenklangs am Anfang, diesem Grammophonsound, haben wir natürlich versucht dieses 30´er/40´er-Flair ein bisschen in den Song einzubauen. Aber wie gesagt, nochmal: Thematisch beide Songs unabhängig, aber durch die Geschichte mit Zarah Leander ist uns die tolle Idee gekommen a) die Platte in Vinyloptik in die Single reinzupacken und b) dieses Intro zu machen, das ich sehr gelungen finde.

Torsten: Euer Bassist Martin Motnik hat die Band verlassen um in den USA zu spielen. Die kreativen Köpfe sind zwar Noel und Alexx, aber glaubt ihr dennoch dass Martins Weggang einen musikalischen Unterschied ausmachen wird?

Alexx: Das fragst du am besten Olli. Das ist unser neuer Bassist und der sitzt da…

Olli: Du meinst jetzt klanglich, was das Instrument Bass betrifft?

Torsten: Mhja, allgemein und im Speziellen.

Olli: Ja gut, ich weiß natürlich nicht, wie er die neuen Songs gespielt und interpretiert hätte. Dazu kenn ich ihn nich gut genug. Die Alben …

Alexx: [Vom Hintergrund her] Erzähl mal was spannendes!

Olli: Das müssen dann doch die anderen sagen weil sie jahrelang mit ihm gespielt haben und ich bin schließlich der Neue! Also, Jürgen!

Jürgen: Ja, es gibt den Unterschied dass es untenrum einfach fetter geworden ist. Also nichts gegen den Martin, der Martin ist technisch auf hohem Niveau. Da hat jeder Bassist seine eigenen Vorteile, aber wir sind mit dem Olli ganz super zufrieden. Es drückt von der Bühne und das ist glaub ich die Hauptsache bei unserem Sound.

Alexx: Zu Olli, unserem neuen Mann: Ich sag´s dir ganz ehrlich: Mehr Bumms, mehr Druck, mehr SHARP, mehr definiert, mehr gute Optik auf der Bühne, einfach absolut letztlich der ultimative, der PERR-FEKTE Ersatz für Martin Motnik, der uns leider verlassen musste. Aber no pain, no gain! Wie gesagt: Martin musste gehen, Olli durfte kommen und wir stehen heute besser da denn je. So kann´s laufen, im Leben. FANTASTIC!

Torsten: Wobei ganz das neue Gesicht ist Olli in der Band auch nicht. Er hat vorher schonmal zeitweise ausgeholfen, hört man, und eigentlich war er auch bei Megaherz dabei oder?

Alexx: Ja, der Olli war auch bei Megaherz, richtig. Wir haben also schon 3 Ex-Megaherzen bei uns in der Band. Da kann Megaherz heute live nicht mehr mithalten. Also ich empfehle: Wie wär´s denn mit einem anderen Namen, Herrschaften? Das glaubt euch doch keiner mehr…

Olli: Guter Ratschlag.

Alexx: …von Papa. Und immer schön den Sidekick noch rein..

[allgemeine Heiterkeit]

Torsten: Einer der prägnantesten Songs auf dem neuen Album ist meiner Meinung nach „This is deutsch“. Aber wie passt das denn in das Gesamtkonzept von Lust und Laster hinein? Kann denn Deutschsein Sünde sein??

Alexx: Ha. „Kann denn Deutschsein Sünde sein“? Ich bin begeistert, der Gedankengang ist fantastisch. Ich sage: …. NEIN. [allgemeines Gelächter]

Olli: Wir haben´s uns ja auch nicht ausgesucht!

Alexx: Richtig!

Torsten: Naja, den Song habt ihr euch aber schon selbst ausgesucht!

Alexx: Da hast du Recht, aber das Deutschsein an sich sucht sich keiner aus. Also wenn der Deutsche an sich ein Vollidiot ist, ja dann hat er irgendwo mal irgendwann mal die falschen Schlüsse gezogen, aber dann kann der Rest der deutschen Republik, also die Restdeutschen, da herzlich wenig dafür. Man kann nur versuchen diese Vollidioten einigermaßen im Zaum zu halten. „This is deutsch“ war aus unserer Sicht ein fälliger Song. Seit Vier jahren, glaube ich, sind wir schon mit dem Thema schwanger. Bis jetzt haben wir´s nie auf Platte gebracht – diesmal hat´s geklappt – und es war ganz klar dass es eine Hommage an die Minimalismuskönige der deutschen Musik werden würde. Trio ist drin, DAF ist drin, Kraftwerk ist drin, es ist auch ein bisschen And One drin… jeder der zuhört wird alles wiederentdecken. Und ich sage das ist unsere Verneigung vor gutgemachter deutscher Musik. Und das muss nicht überfrachtet sein, da kann man mit ganz schön wenig ganz schön viel sagen und ich denke „This is deutsch“ ist uns SEHR gut gelungen!

Torsten: Das finde ich auch. Glaubt ihr es gibt eine typisch deutsche Musik; wenn ihr schon die ganzen Hommagen anführt und Minimalismus. Oder glaubt ihr dass ihr vielleicht so eine Art typische deutsche Musik spielt? Jetzt gerade auch repräsentativ im Ausland wenn ihr sagt ihr habt da Publikum und Fans.

Olli: Ja ich denk mal typisch deutsche Musik ist schwierig, denn das ist dann wieder so ein Vorurteil. Deutsche Musik heißt dann Marschrhythmus und tiefer Gesang mit dem rrrollenden RRR und – mei, natürlich kommt das mal vor! Aber ich denk nicht dass Eisbrecher jetzt typisch deutsche Musik machen. Weil sowas wie „Vergissmeinnicht“… wenn du da jetzt englischen Gesang drüberlegst dann könnte das auch von wasweißich sein. Also das wäre dann nicht diese neue deutsche Härte-Fraktion, sag ich mal. Das ist echt eine schwierige, schwierige Frage oder was meinst du? [zu Jürgen]

Jürgen: Naja, also ich glaube dass man das eigentlich auch nur an der Sprache festmacht was jetzt deutsch ist, was jetzt ami ist oder russisch. Also klar, wenn der Alexx deutsch singt dann ist das natürlich deutsche Rockmusik und ist automatisch deutsch, Aber wir stehen da glaub ich in keiner Tradition und ich glaube nicht dass der Alexx sich jemals Gedanken drüber gemacht hat wieso.

Olli: Man sagt ja auch Techno wurde in Deutschland erfunden, mehr oder weniger. Also ein Beat, akkurat nach vorne, stampf, stampf! Naja, wenn die Leute das meinen… und mehr kann ich dazu auch nicht sagen.

[Alexx geht wieder]

Torsten: Letzte Frage zu dem Song: Meint ihr denn nicht, dass die Klischees vom Deutschsein, die ihr da besingt schon längst nichts mehr mit der Realität zu tun haben? Diese Ordentlichkeit und Gründlichkeit und all das was da vorkommt ist ja heutzutage eigentlich gar nicht mehr so gefragt oder? Das will man ja heute gar nicht mehr so.

Olli: Ja, das wissen wir, aber es tauchen immer wieder die Klischees auf. Immer, immer, immer, immer und von allen Seiten ständig. Das wirst du immer hören. Das ist einfach eine Sache, die nie aussterben wird. Dass der Deutsche so ist, wie er zu sein scheint. Was auch wirklich Blödsinn ist. Wie gesagt: Es gibt überall Idioten und wie gesagt: Ich find „typisch deutsch“ find ich irgendwie albern. Ich fühl mich überall zu Hause.

Torsten: Ja, die Frage ist eben halt ob das dann nicht nur ein Klischee von einem Klischee ist.

Olli: Genau. Genau, richtig. Aber das wissen die, die hier leben am allerbesten und die anderen werden´s auch irgendwann mal wissen, hoff ich.

Torsten: Irgendwann kommt´s immer raus. Dann möcht ich mich bedanken für das Interview. Vielen Dank und ich freu mich auf das Konzert.

Olli, Jürgen: [quasi unisono] Danke, wir auch.

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