Wir schreiben das Jahr 4 nach „Geräusch“, dem letzten Studioalbum der „Die Ärzte“. Die schier endlos lange Zeit zwischen Hoffen und Bangen ist vorbei. Trotz, oder auch gerade wegen der Veröffentlichung des Re-Releases von „Debil“, dem „Bäst of“ – Album, sowie vermehrter Soloaktivitäten der drei Herren, hatten nicht Wenige das Ende der „Besten Band der Welt“ bereits als beschlossene Sache gesehen. Doch Totgesagte leben bekanntermaßen am längsten. Bei dem gigantischen „Ärzte statt Böller“-Spektakel zum letzten Jahreswechsel wurde es bereits angekündigt und nun ist es tatsächlich da: Das brandneue Album „Jazz ist anders“.

Die Ärzte, die sich entgegen einem allgemeinen Trend, vehement vom Kopierschutz auf CDs distanzieren und Selbigem auf ihren Covern auch gerne mal den Stinkefinger zeigen, haben im Laufe der Jahre ihre ganz eigene Art entwickelt, sicher zu stellen, dass Fans gerne bereit sind das nötige Kleingeld in den Kauf einer Original-CD zu investieren. Der Trick ist so einfach wie genial. Je hochwertiger und ausgefallener die Verpackung, umso größer ist der Anreiz mit diesem Schmuckstück auch das eigene CD-Regal zu verdedeln. Man erinnere sich nur an die schöne Metallbox mit 6 Wechselcovern zu dem „Bäst of“ – Album , oder aber die kuschelige, türkisblaue Plüschtasche von „Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer“. War ich doch sicher, dass dieses Kuscheltäschchen auf ewig der unumstrittener Favorit unter allen CD Umverpackungen dieser Welt bleiben würde, schicken die Ärzte mit „Jazz ist anders“ nun einen heißen Anwärter auf den begehrten ersten Platz der Beliebtheitsskala, ins Rennen. Denn „Jazz ist anders“ erscheint, so unglaublich es auch klingen mag, in einem Pizzakarton.

Und als ob das noch nicht genug des Guten wäre, enthält der vermutlich kleinste Pizzakarton der Welt, neben der Haupt-CD in stylischem Pizzadesign auch noch eine im wahrsten Sinne des Wortes „kleine“ Bonus-CD in Form einer Tomatenscheibe. Das ist nicht nur kreativ, sondern so süss, dass die Existenzberechtigung von „Jazz ist anders“ eigentlich alleine schon durch das exklusive Design mehr als gesichert ist. Und doch, so hübsch sie auch anzusehen ist, diese Pizza gehört natürlich umgehend in die Stereoanlage, und nicht etwa in die Mikrowelle.

Denn hier wollen 16 brandneue Ärzte Songs (plus drei auf der Bonus-EP) auf die Menschheit losgelassen werden und das wurde auch höchste Zeit.

Flott und eingängig geht es mit „Himmelblau“ los. Die Melodie geht sofort ins Ohr, und Farin Urlaub singt schöner und klarer als je zuvor. Die optimistische Stimmung des Textes findet sich in der Athmosphäre nicht ganz wieder, aber gerade diese unterschwellige Diskrepanz lädt zum Nachdenken ein und macht den ganz besonderen Charme dieses Liedes aus.

Mit dem „Lied vom Scheitern“ folgt ein typischer Felsenheimer Song mit Mitgröhlrefrain. Der Refrain selbst spiegelt mit der Aussage „Du bist immer dann am besten, wenns dir eigentlich egal ist“ wunderbar den Status wieder, den sich die Ärzte im Laufe ihrer Karriere erarbeitet haben. Denn beweisen müssen sie heute definitiv niemandem mehr wer sie sind und was sie drauf haben.
Mit dieser Sicherheit im Rücken darf man sich natürlich auch mal auf musikalisches Glatteis begeben. Während Songs wie „Junge“, „Heulerei“ oder „Allein“ auf guten und altbewährtem Punk- und Rocksound setzen, bewegt man sich bei „Deine Freundin“ plötzlich auf einem völlig Ärzte-untypischen Terrain. Ziemlich experimentel und funkig kommt dieser Song daher, auch Farin Urlaub zeigt sich gesanglich von einer ganz neuen Seite und erreicht dabei bisher ungeahnte, stimmliche Höhen. Ob man diesen Sound nun mag, oder nicht, ist wohl einfach Geschmackssache, ein netter Gag ist „Deine Freundin“ jedenfalls allemal.

Sehr viel ohrenschmeichelnder gibt sich die mit Herschmerz gespikte Ballade „Nur einen Kuss“. Die Logik hier ist mal wieder einfach bestechend, dennoch möchte ich an dieser Stelle dringenst davon abraten, sich ein gebrochenenes Herz, auf die im Text beschriebene Weise, zurückzuholen. In „Tu das nicht“ behandeln die Ärzte das Thema Raubkopierer versus Musiker auf ihre ganz eigene und äusserst zynische Art. Aus musikalischer Sicht kommt dieser Song zunächst ziemlich sanft und monton daher, steigert sich aber zu einem Brett der Extraklasse. Hier wird schliesslich derart ins Mikrofon geschrieen, dass ganz bestimmt so mancher Deathmetal Sänger grün vor Neid werden könnte. Ein Song, der spitzenklasse, sowohl textlich als auch musikalisch. Beweisen die Ärzte doch erneut, dass sie eben nicht nur Spasspunks sind, sondern eine eigene Meinung haben und sich nicht scheuen, diese auch lauthals kund zu tun.

Insgesamt geben sich die Ärzte mit ihrem neuen Album enorm facettenreich, stilsicher und innovativ, ohne dabei den einzigartigen Charme einzubüßen, für den diese Ausnahmeband, in der deutschen Musikkultur berühmt, berüchtigt ist. Rockige Mitsingnummern und stimmungsvolle Kuschelsongs können hierbei gleichermaßen überzeugen. Tiefgründige Texte auf der einen Seite und wertvolle Erkentnisse, wie die Tastsache, dass sich ein „Schalala und Schalalu“ nur auf ein „Du“ reimen kann, auf der anderen Seite, schliessen sich nicht aus, sondern ergänzen sich genauso perfekt wie es die Herren Urlaub, Felsenheimer und Gonzales untereinander tun.

Die Bonus CD enthält schliesslich drei Songs, in der jedes Bandmitglied nochmal das Phänomen „Die Ärzte“ selbst beleuchtet. Eine Titelwahl wie „Wir sind die Besten“ wundert da wohl kaum. Überaschender klingen da schon die Reggae Anleihen in Belas Interpretation. Rod hingegen setzt bei seinem Abschlußsong auf Klavierbegleitung, ein Stück, das live vorgetragen bestimmt sehr interessant klingen dürfte.

Was bleibt als Fazit noch zu sagen?
Die Ärzte sind zurück und haben mit „Jazz ist anders“ ein grossartiges Album im Gepäck, das einfach alle Erwartungen übertrifft. Gut Ding will manchmal Weile haben und in diesem Fall haben sich die vier Jahre Wartezeit wirklich mehr als bezahlt gemacht.

Auf Anraten, der mitgelieferten Presseinfo verzichtet das gehorsame Schreiberlein an dieser Stelle auf jegliche Vergleiche aus dem medizinschen Bereich wie „Operation gelungen“, oder ähnliches, sondern verneigt sich nun einfach in stiller Erfurcht vor der besten Band der Welt und ihrem grandiosen neuen Album.

Und eines ist ja mal so sicher, wie das Amen in der Kirche: Jazz ist definitiv anders!

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Pamela Stahl
Pamela Stahl ist ehemalige Mitarbeiterin von Mindbreed.