Forrest Gump würde wahrscheinlich sagen „Ein Big Boy Konzert ist wie eine Schachtel Pralinen. Man weiß nie, was man bekommt“.

 

Und in der Tat, während andere Bands bestenfalls durch konstant gute Leistung überzeugen können, weiß man bevor man die heiligen Hallen zu einem Big Boy Gig betritt nie so ganz genau, was einen in den kommenden anderthalb Stunden erwarten wird.

 

Doch ähnlich wie man beim Griff in eine hochwertige Schachtel Konfekt nicht viel falsch machen kann, liegt man auch beim Besuch der sympathischen Glamrockern stets auf der richtigen Seite. Denn so unterschiedlich und überraschend die einzelnen Konzerte der grossen Jungs auch sein mögen, zeichnen sie sich doch stets durch einen überragenden Entertainmentfaktor aus, der in der düster-bunten Welt der alternativen Musikszene seinesgleichen vergebens sucht.


Wir schreiben den 17. Januar 2010. Nach gefühlten Jahren der Big Boy Abstinenz, sind die Glamrock-Exzentriker, die es unlängst nach Amerika verschlagen hat, endlich auch wieder auf deutschem Grund und Boden auf Tour. An diesem Abend machen die Musiker in der Zeche Carl in Essen Station. Auf eine Vorband wird im Gegensatz zu den vorangegangenen Teminen diesmal verzichtet (worüber sich Fans, die am Vorabend in Köln zugegen waren jedoch einvernehmlich erleichtert zeigen) und so sind es Big Boy, A.K. und die beiden Neuzugänge Thor und Darek höchstpersönlich, die um Punkt 21.00 Uhr zu den ersten Klängen des kurzen Intros die Bühne stürmen.


Ohne Umschweife starten die Glamrocker mit dem Krachersong „Heroine Heroine“ aus ihrem aktuellen Album „Ponygirl“ durch und schnell wird klar: Die charmanten Musiker haben auch durch ihren verlängerten Auslandsaufenthalt kein bisschen an Energie und Biss verloren. Wo der Sänger dieser Band seinen Fuß auf den Boden stellt, da ist das Rampenlicht und da spielt die Musik. Diese Band wurde nicht geboren um leise Töne zu spielen, hier sollen keine Gefangenen gemacht werden.


Absolut perfekt fügen sich die beiden neuen und allseits mit Spannung erwarteten Musiker Gitarrist Thor und Drummer Darek ins Bühnenbild ein. Gerade Gitarrist Thor erweist sich als wesentlich offener und publikumsnäher als sein immer etwas distanziert wirkender Vorgänger Gabor und auch der Mann hinterm Schlagzeug bringt sich gelegentlich aktiv ins Geschehen ein und verlässt auch schon mal seine Position und sei es nur um ein Salatbuffet der etwas anderen Art zu eröffnen.

Auch wenn die Band Big Boy bereits diverse Besetzungswechsel am Saiteninstrument erfolgreich überstanden hat, ist man fast ein wenig verblüfft wie gut und reibungslos die neue Formation ineinander greift. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man vermuten dieses Quartett würde bereits seit Jahren gemeinsam performen.


Verglichen mit dem fleischgewordenen Adrenalinausstoss auf der Bühne, gibt sich das anwesende Publikum verhältnismässig ruhig. Das allerdings nicht aus mangelnder Begeisterung, sondern weil die meisten Fans damit beschäftigt sind fleißig Fotos von dem Geschehen auf der Bühne zu schießen. Immerhin gilt es ja auch zwei neue bislang noch nicht auf Film gebannte Gesichter einzufangen. Während die Band sich von dieser Zurückhaltung nicht eine Sekunde aus der Ruhe bringen lässt, ist die scheinbar mangelnde Motivation dem Soundengineer der Musiker hingegen ein echter Dorn im Auge. Und so platzt dem Tonmeister nach einem guten Drittel des Gigs wahrhaftig der Kragen und er stürmt die Bühne, um die anwesenden und sichtlich erstaunten Hobbyfotografen via Mikrofon erstmal ordentlich zusammen zu falten.


Nun muss man dem hitzigen Mann rückblickend zu Gute halten, dass er ja nicht gänzlich im Unrecht lag, mit seinem leider etwas zu unwirsch vorgetragenem Anliegen. Nur leider haben in der Regel solch spontane Schimpftriaden ja eher einen kontraproduktiven Effekt, als dass sie zum gewünschten Ergebnis führen würden.


Doch gottlob haben wir es ja hier nicht mit irgendeiner x-beliebigen Gothic-Band zu tun, sondern mit den Entertainmentexperten schlechthin. Und so beweist sich Frontman Big Boy, noch bevor die allgemeine Stimmung Gefahr läuft zu kippen, erneut als absoluter Profi seines Fachs, reißt in sekundenschnelle mit Witz und Charme das Ruder wieder an sich und verleiht dem ganzen Moment den Flair einer komödiantischen Stand-up Einlage. Herausragende Leistung, in einer wackeligen Situation!


Angesichts dieses Zwischenfalls, der im Laufe des Abends noch Erwähnung finden wird, ohne dabei zum Running-Gag zu mutieren, scheint die Band nun aber auf den Geschmack gekommen zu sein, die Fans mit einem breiteren Programm, als dem rein Musikalischen für sich gewinnen zu wollen. Da ein angespielter Depeche Mode Klassiker nicht den gewünschten Effekt zeigt, will man nun mit der Option gemeinsam mit der Band duschen zu dürfen Punkte sammeln. Und damit auch für das leibliche Wohl der Fans gesorgt ist, organisiert Sänger Big Boy kurzerhand ein riesiges Tablett mit Salat, welcher allerdings mangels vorhandenem Bestecks nur zögerlich Anklang findet, so dass Drummer Darek sich wiederum gezwungen sieht zu demonstrieren, dass man zum Essen eigentlich weder Hände noch Besteck braucht, sondern einzig und alleine einen großen Mund und mit diesem sogar die Mahlzeit noch an Dritte weiter verteilen kann. Erlebnisgastronomie live, der Konzertbesucher von heute ist schließlich anspruchsvoll. Gute Idee, doch an der Umsetzung könnte man sicherlich noch feilen.


Bei all dem Brimborium vergessen Big Boy natürlich trotzdem nicht weshalb sie ursprünglich nach Essen gekommen und ziehen auch ihr musikalisches Rerpertoire konsequent und gewohnt perfekt durch. Songs aus dem inzwischen schon fast legendären Debutalbum „Hail the Big Boy“ können dabei genauso überzeugen wie aktuelles Material, allem voran der wunderschöne Titel und heimliche Tophit des zweiten Silberlings „Love is almost perfect“.


Viel zu schnell verfliegt die Zeit und als die persönliche Lobeshymne des Leadsängers „Hail the Big Boy“ angekündigt wird, ahnt man bereits, dass ein schöner Abend nun unaufhaltsam seinem nahen Ende zu geht.


Da Big Boy selber, nach eigenen Aussagen, inzwischen viel zu bescheiden geworden ist, um sich musikalisch zu beweihräuchern, werden kurzerhand noch zwei Freiwillige gesucht, die sich bereit erklären, den Refrain live auf der Bühne mit zu singen. Ein junges Paar, das diese Aufgabe übernehmen möchte ist schnell gefunden, erweist sich letztenendes allerdings nicht als besonders große Unterstützung, da es sich im Verlaufe des Liedes wesentlich mehr auf einen etwas infantil wirkenden Zweikampf um die legendäre von Big Boy geliehene Schlafmaske konzentriert, als auf seinen gesanglichen Einsatz. Der Versuch diese Schlafmaske nach dem Auftritt heimlich als Souvenir mitgehen zu lassen, scheitert dann natürlich auch. Zugegebenerweise von vornherein kein wirklich erfolgsversprechender Plan, bei einer potentiellen Täterzahl, die auf lediglich zwei begrenzt ist und einem ganzen Konzertsaal im Rücken, der das Geschehen auf der Bühne genauestens im Auge hat. Vom moralischen Aspekt mal ganz abgesehen!


Nach „Hail the Big Boy“ verabschieden sich Big Boy und Co. kurz von der Bühne, um nach einer geforderten Zugabe noch einmal mit dem Titel „One good reason“ voll durchzustarten und die begeisterten Fans mit einem verdammt guten Grund, auch beim nächsten Big Boy Konzert wieder mit von der Partie zu sein, in den Abend zu entlassen.


Fazit: Big Boy haben an diesem Abend ein weiteres mal mehr als deutlich bewiesen, dass sie zu den herausragendsten Ausnahmekünstlern unserer Zeit gehören.


Vor einer tobenden Menge auf der Bühne zu rocken ist wahrlich einfach. Aber an der Herausforderung eine kleine, verschüchterte Fanschar begeistern zu können, scheitern die meisten Musiker kläglich. Doch wo andere Bands verzagen, legen Big Boy erst recht noch eine Schippe drauf. Big Boy spielen für 50 Fans mit derselben Leidenschaft als wären es 5000 und überzeugen dabei durch Spontanität, Kreativität und unerschütterlichen Enthusiasmus, genauso wie durch ihre musikalische Leistung.

Kein Big Boy Konzert ist was das andere, aber gerade das macht den ganz besonderen Charme dieser einmaligen Band aus.


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