Ost+Front - Olympia (Album) - Cover Zwei Wochen vor dem Start der Olympischen Winterspiele 2014 in der russischen Stadt Sotschi und eineinhalb Jahre nach ihrem Debütalbum „Ave Maria“ (2012) veröffentlichen Ost+Front ihr zweites Album „Olympia„.

Was hat sich in der Zwischenzeit getan? Die EPs „Bitte Schlag Mich“ und „Liebeslied“ sind erschienen, wobei es nur letzterer Titeltrack auf das aktuelle Album geschafft hat, und Auftritte auf großen Festivals wie dem Blackfield Festival 2013 und dem M’era Luna Festival 2013 standen an und begeisterten die Fans.

Und jetzt ein neues Album, dessen Cover schon bildgewaltig Großes verspricht. Neben der regulären Fassung erscheint das Album auch als Deluxe Edition, die eine zweite CD mit weiteren 5 Tracks enthält.

Vorbemerkung: „Olympia“ enthält wie kein anderes mir bekanntes Album eine Unmenge an Anspielungen. Um die Hintergründe besser zu verstehen, sind die wichtigen Schlagworte zu den passenden Artikeln in der deutschsprachigen Wikipedia oder auf die Berichterstattung auf Mindbreed.de verlinkt.

Mit einem elektronisch angehauchten Intro startet der Opener „Mensch„, und das erste Wort das aus meinen Boxen schallt ist „Wehrmacht“. Im Ernst? In den Millisekunden Pause bis zum nächsten Wort fallen mir schon allerhand Schlagzeilen des Boulevards ein, die Ost+Front in die braune Ecke abschieben wollen – doch da kommt die Erlösung in Form von „…sich Sorgen?“. Alles gut, Entwarnung, nur verhört. Doch das Wortspiel „Wehrmacht / Wer macht“ ist auch zu verlockend, und in Hinblick auf den Text auch vielleicht gar nicht so ungewollt. Was nun folgt ist ein Song der Extraklasse: Stärker hätten Ost+Front das Album kaum eröffnen können, ein kraftvoller und mitreißender Track, der durch Refrain und Soundkulisse begeistert.

Neben begeisterten Reaktionen auf Konzerten und Festivals erfuhren Ost+Front nach ihrem Debütalbum auch Gegenwind: Gerade Vorwürfe, mit denen Ost+Front in rechtsradikale Nähe gerückt wurden, ließen schnell wieder die Reaktionen auf das offenkundige Vorbild Rammstein in seinen Anfangsjahren präsent werden. In Kombination mit dem Vorwurf der Gewaltverherrlichung führte es in 2013 sogar soweit, dass das Konzert in Windeck kurzerhand vom Bürgermeister abgesagt wurde.

Ost+Front - 01.02.2014 - Köln

Solche Vorwürfe und Ereignisse scheinen Auslöser für „Ost+Front 2014“ gewesen zu sein, in dem die Band nicht gerade sanft mit Neidern und Kritikern abrechnet und ihnen verbal den Mittelfinger zeigt. Nicht gerade ein musikalisches Highlight, aber ein willkommener Break.

 

Es knüpft das meines Erachtens stärkste Stück von Olympia an: „Sonne, Mond und Sterne„. Neben einem tollen Refrain und eingängigem Sound glänzt „Sonne, Mond und Sterne“ aber vor allem durch seinen Text, der den Hörer in die Abgründe menschlichen Verhaltens entführt, angelehnt an die Erzählung „Allerleirauh“ der Gebrüder Grimm. Erinnerungen an „Abendlied“ von Subway to Sallys Album „Engelskrieger“ (2003) werden wach. „Sonne, Mond und Sterne“ bewegt, reißt mit, geht tief.

Als wäre zuviel hintergründige Musik nicht gut für den Hörer, präsentieren uns Ost+Front mit „Liebeslied“ eine musikalische Interpretation von Irrumation, während „Freundschaft“ nicht nur mit dem kontroversen Ausspruch „Arbeit macht frei“ kokettiert, sondern nebenbei über die Chinesische Kulturrevolution doziert. Gelbes Gift, herrlich doppeldeutig, wird von harten Riffs und Drums gerahmt, und bietet ein sehr unruhiges, grobes Klangbild.

Ost+Front - 01.02.2014 - Köln Mit „Feuer und Eisen„, einem langsam-getragenen, klanggewaltigen Stück, schaffen Ost+Front einen schönen Kontrast. Nicht, dass das Thema sonderlich schön wäre.

Das folgende Stück, „Anders„, ist wieder so ein Song, den man tendenziell erst nach mehrmaligem Hören versteht. Das Wortspiel ist geglückt, aber spätestens wenn eine Strophe der norwegischen Nationalhymne gesunden wird, sollte man stutzig werden. Es geht hier um niemand geringeren als den rechtsextremen Massenmörder Anders Behring Breivik, der am 22. Juli 2011 in Norwegen bei einem Doppelanschlag 77 Menschen tötete. Mit diesem Hintergrund erscheint der Song in einem anderen, fast bedrückenden Licht. Eine starke, wenngleich sicher nicht einfache Umsetzung.

Goldmarie“ weckt erneut Erinnerungen, diesmal an „Liese“ von Rammsteins „Liebe ist für alle da“ (2009), und erzählt von ungewollter Schwangerschaft nach Vergewaltigung. Doch während damals das Schicksal von Liese offenblieb, erzählen Ost+Front die Geschichte bis zu ihrem – tragischen – Ende. Thematisch als auch auch musikalisch würde jetzt eigentlich „Dein und Mein“ passen, in dem Beziehungsprobleme auf die „praktische“ Art gelöst werden, doch drückt sich dazwischen noch „Perfekt“ – das leider gar nicht so perfekt ist, sondern seine Ecken und Kanten aufweist, und den Flow leider irgendwie zunichte macht.

Ost+Front - 01.02.2014 - Köln

Zurück zu den Wortspielen: „Harte Welt“ klingt zwar auf den ersten Blick eindeutig, bezieht sich allerdings auf den japanischen Mörder und Kannibalen Issei Sagawa, der 1981 die niederländische Studentin Hartevelt ermordete. Nicht nur eine „Harte Welt“, sondern auch ein hartes Stück, das sich mit Sagawas Tat und seinem Motiv auseinandersetzt.

Alkoholismus ist nach wie vor ein aktuelles Thema, da „Feuerwasser„, eine zweifelhaft-indianische Bezeichnung für Alkohol, auch heutzutage schwere Schäden und Leiden anrichtet. Der Text trifft das Denk- und Verhaltensmuster vieler Alkoholabhängiger auch recht präzise – sich Mut antrinken, trinken um zu Vergessen oder um sich die Arbeit zu erleichtern.

Mit „Kaltes Herz“ klingt Olympia aus – nicht, ohne sich ein letztes Mal den Abgründen menschlichen Verhaltens zuzuwenden. Nekrophilie, die Befriedigung sexuellen Verlangens an Verstorbenen – Nanu, kennen wir das nicht irgendwoher? Stimmt, in „Heirate mich“ thematisierten Rammstein diese Paraphilie in ihrem Debütalbum „Herzeleid“. Ob es eine Hommage an die NDH-Ikone darstellt oder nicht – es klingt schaurig schön.

Ost+Front - 01.02.2014 - Köln

Mit „Olympia“ haben sich Ost+Front in jeder Hinsicht weiterentwickelt und präsentieren mit eingängigen Instrumentals, subtilen choralen Elementen und erstaunlich hintergründigen Texten ein großartiges zweites Werk, und für mich das erste Top-Album des Jahres. Für Freunde des sauberen Rocks und zartbesaitete Menschen ist diese Scheibe sicherlich nicht geeignet, denn „Olympia“ ist alles andere als anständig: Es ist dreckig, brutal und inhaltlich sicherlich nicht unstrittig. Aber das macht das Album, das macht die Band aus. Ein tolles Werk, bei dem meiner Meinung nach einzig und allein die etwas willkürlich wirkende Reihenfolge der Tracks und der daraus resultierende Abriss des Flows etwas den Hörgenuss trübt.

Davon, dass die Songs auch live hervorragend funktionieren, konnte ich mich bei meinem Besuch in Köln am 1. Februar überzeugen. Bis Ende Februar touren Ost+Front noch durch Deutschland – lasst euch diese Shows nicht entgehen!

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