Electronic Body Music sollte jedem als Begriff geläufig sein. Fußend auf dieser Musik gibt es seit geraumer Zeit ein Projekt, das besonderes Augenmerk verdient: Pinsel liest! – das ist Electronic-Body-Reading (EBR)…

Projekthistorie
Die elektronische Musikszene um Dessau (Sachsen-Anhalt) hat seit Jahren eine feste Größe: Electric Tremor. Diese Clique musikalisch ähnlich Denkender hat für den EBM einiges bewegt und angeschoben. Hier wurde auch Pinsel liest! gegründet. Gemeinsam mit befreundeten Musikern wird vorgetragener Text mit Musik unterlegt. Das ganze nennt sich dann EBR.
Neben Pinsel, dem Sinngeber des Projekts, sind aktiver T.A.N.K. (Abmischen der Musik), Goldi (Liveverstärkung, Management), Anja (ebenfalls Liveunterstützung) und die Musik bekannter Bands beteiligt.

„Schwedisch-Deutsche-Freundschaft“
Das Debütwerk umfasst gerade einmal zwölfeinhalb Minuten Spielzeit, verteilt auf vier Stücke. Trotz des kleinen Umfangs beinhaltet dieses Scheibchen eine Erfahrung besonderer Art.
Während sich Old School EBM üblicherweise mit aktuellen und vergangenen wirklichen Problematiken befasst, verlagerte sich Pinsel auf die Erläuterung eher nebensächlicher, aber dennoch zum Leben gehörender Steine im Weg.
In Form von einer Mischung aus Anekdoten mit Anleihen an Kolumnen schildert Pinsel auf dem Debüt Erlebnisse, die irgendwie völlig im Gegensatz zu dem stehen, was in dieser Musikszene sonst vermittelt wird. Hier ist Spaß pur angesagt und das Leben mit all seinen Tücken wird etwas auf die Schippe genommen. Mit einer erstaunlichen Wortvielfalt werden alltägliche Belanglosigkeiten aus dieser neuen Perspektive zu etwas Besonderem.
Die CD ist als limitierte Fassung für 6,- € über die Homepage von Pinsel erhältlich, wobei die Hälfte des Erlöses davon an gemeinnützige Projekte gespendet werden soll.

Das Intro beginnt bedrohlich dröhnend, nimmt irgendwann einen einfachen, EBM-typischen Rhythmus an, eine Stimme verkündet, dass diverse hochgeachtete Künstler zwar schrieben, letztendlich aber doch nur Pinsel sogar liest und dem folgt noch weiteres EBM-Geballer von E-Crafts Guido, der neben der Musik dem Projekt für das Intro auch seine Stimme. Pinsel liest! – ich höre…
Die Musik der folgenden drei Stücke ist ursprünglich von Spetsnaz und wurde von T.A.N.K. für die Umspielung von Pinsels Gedanken neu abgemixt.
„Der Weg daheeme“ scheint anfangs die Schilderung eines Weges durch ein erschreckendes Umfeld zu sein, dass dem Durchquerenden aufgrund seiner Beschaffenheit irgendwann den letzten Nerv rauben wird. Dieser Glaube wird abgesehen vom Titel auch fast bis zum letzten Moment aufrecht erhalten. Nach der Stolperei über Schienen, der Flucht vor seltsamen Geräuschen und Gestalten landet der Erzähler endlich an seinem Ziel…
Es folgt „Der kleine Morgen“ mit der derben Schilderung des Morgens nach einem heftigen Besäufnis und allen zugehörigen Folgen. Da wird die Wiederbegegnung mit dem Alkohol des letzten Abends zum Erfolgserlebnis, nachdem man sich den Weg bis nach Hause hart erkämpft hat. Nur welcher vermeintliche Drachen einen zuhause erwartet, hätte man wohl auch bedenken sollen.
Den Abschluss bildet „Mal wieder auf Wanderschaft“, das auch gut und gern „Ode an alkoholische Genüsse“ heißen könnte. Es hört sich an wie die Schilderung einer ausufernderen und umfassenden Kneipentour inklusive aller möglicher genüsslicher Begegnungen. Vielleicht hat sich mir der wahre Sinn auch noch nicht erschlossen…

Abschließendes Urteil
Wie bereits erwähnt, wird hier Spaß groß geschrieben. So groß sogar, dass beim ersten Hören angesichts dieser Mischung wohl der eine oder andere erst mal kräftig schlucken und durchatmen müssen wird. Wer bitte besingt bzw. bespricht die Erlebnisse nach einer durchzechten Nacht? Pinsel macht das.
Braucht die Welt so etwas? Nicht wirklich, aber es ist eine durchaus witzige Erfahrung, die Mischung aus harter Musik und einigen wesentlich weicheren Eingeständnissen voller Selbstironie zu erleben.

Auf der Electric-Tremor-Seite wird Pinsel liest! immer wieder als kontroverses Projekt bezeichnet und das ist es zweifellos. Die Idee ist außergewöhnlich und überaus witzig. Die Umsetzung ist recht gut gelungen, zum einen aufgrund der scheinbar sehr vertrauten Technik mit anderen Musikprojekten, viel mehr durch den Wortwitz Pinsels und dessen Art, diesen inhaltlich rüberzubringen. Zeitweise holpert der Text etwas gegen die Musik, aber das sieht man nach mehrmaligem Hören als vernachlässigenswert an.
Die Spannung auf neues Material bleibt bei mir persönlich…

Titel:
1. Intro
2. Der Weg daheeme
3. Ein kleiner Morgen
4. Mal wieder auf Wanderschaft

Autor: Michael

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