Rammstein spielten am 29.11.2009 in der Kölner Lanxess Arena. Philip Nußbaum war für Mindbreed live vor Ort und schildert uns hier seinen ganz persönlichen Konzertabend.

 

 

Meine Liebe, 

Du bist abermals nicht mitgekommen. 

Aber daran habe wieder einmal einzig und alleine ich schuld, denn ich habe mein Werben völlig falsch aufgezogen. Nichts Neues, denke ich. Ich hätte es mir schenken sollen, das Wort „Rammstein“ fallen zu lassen, damit war das Thema irgendwie bereits mehr als nur durch. Martialische Deutschtümelei, SM-Soundtrack, Dumpfmetal, Gewaltverherrlichung, ach ja, jüngst gar kein bisschen Index…, die unmögliche Aufgabe also: Argumentation gegen ein Klischee, und selbst wenn die zu bewältigen gewesen wäre, dann wäre immer noch der umfängliche Rest geblieben, nämlich auszuführen, weshalb es sich eventuell doch lohnen kann, sich einer tatsächlich unangenehmen Mischung aus Lärm, Enge und weiterem Stress auszusetzen.

  

Ich hätte es anders aufziehen sollen, aber ich hatte in der Sommernacht nicht soviel abgeklärte Übersicht, als ich wie vermutlich eine Million andere schwitzend, fluchend und bettelnd vor dem Rechner saß und es erst nach unendlich vielen Fehlversuchen schließlich gelang, eins dieser lappengroßen Motivtickets zu bestellen. Stress schon da, es scheint ein nicht unwesentlich wichtiges Element bei der ganzen Angelegenheit zu sein, nichts wirklich Einladendes, Du hast vermutlich recht. Wie meistens.

 

Ich hätte Dir vielmehr sagen sollen, ich wollte mit Dir ins Theater, in eine Vorstellung mit dem Titel „Liebe ist für alle da“. Ein Stück rund um die ganz großen Themen – die Geburt, den Tod, das Leben dazwischen, Liebe, Leid, Mann, Frau, Kind. Mit viel Musik, aufwendig inszeniert und in einem amphitheaterähnlichen Setting. Ich glaube, das hätte Dich interessiert, es geht schließlich um nur das, Du weißt „Manche singen von Liebe, ich sang die ganze Zeit von Dir.

  

Irgendwann ging das Licht wieder aus, nachdem die Herren von Combichrist fertig waren. Dann links der Bühne ein lichtgleißender Durchbruch, rechts einer, und wie ein unförmiger Säugling aus einem Uterus stampfte mittig Herr Lindemann in blutigroter Schürze und kniehohen Springerstiefeln vor das bis zum Hallendach gestapelte Publikum, um mit dem Kollektiv Rammstein zu inszenieren und eine Geschichte von Liebe und Sex zu erzählen, die mit einer blutigen Geburt zum „Rammlied“ begann und mit einer feuerspeienden Himmelfahrt zu „Engel“ endete. Achtzehn Bilder insgesamt.

 

Sex. Vielleicht ist genau das das irritierende Element und die Wurzel allen üblen Missverständnisses, das, was von „Herzeleid“, „Sehnsucht“, „Mutter“ und nun schließlich „Liebe ist für alle da“ bei nicht wenigen als vielzerredeten Rettungsanker eben nur Rammstein übrig bleiben lässt. Sex. So leicht zu tun und so präsent, so schwer zu kommunizieren und so versteckt. Wo bei den einen die Vorhänge zu bleiben und das Licht gelöscht wird, gehen hier Flammenwerfer an. Getuschelt und gekichert hinter vorgehaltener Hand wird nicht, sondern mit tiefer Stimme und rollendem R geschrien. Vive la Körperlichkeit! Seltsames Gefühl, wenn man damit sich auseinander zu setzen gemacht wird. „Huch, Sex! Äh, guck mal, da vorne brennts…“

Gut, dass auch ein bisschen auflockernde Show dabei war, man wüsste sonst vielleicht gar nicht, wohin und wie sich wenden. Gott sei Dank wurden wie in vormaligen Saisons weiterhin Dinge angezündet, teilweise auch Personen wie etwa der Keyboarder oder ein Fake-Fan, dauernd explodierte etwas, es regnete mal Babypuppen, mal Schaumejakulat und Gummischnippsel, es fuhr ein Schlauchboot über das Publikum, und die Kulissen, eine Art Frankenstein’sches Laboratorium , waren auch schön ablenkend.

 

Wie jetzt die Kurve kriegen? Der Mund ist seltsam trocken, und weit und breit keine Pussy-Humpen voller Bier, die einen in Köln hätten retten können, wenn man irgendwie gemerkt hätte, dass einem da was peinlich ist.

  

Vielleicht zwar weiterhin schade, dass Du nicht mitgekommen bist, vielleicht aber auch insofern gut, als dass wir uns dann nicht nur über erleichternde Blender wie brennende Engelsflügel, Gitarristen mit Armbinden oder unzählige Merch-Stände unterhalten hätten beim stundenlangen Warten im frostigen Parkhaus, sondern auch über den Rest.

 

Genau, oh weia, meine ich wohl auch, im besten Fall wären wir nur etwas später nach Hause gekommen.

 

Hej!, mach Dir keine Gedanken, ich wollte Dir nur von einem Konzert erzählen im Herbst am Rhein. Da hat jemand über Liebe gesungen, und ich habs gehört.

 

Autor: Philip Nußbaum

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