..und schon war es wieder zu Ende, DAS Festival unserer gleichzeitig vielfältigen und teilweise vielleicht doch so eintönigen Szene. 20.000 unserer Art fielen erneut über Leipzig her und verliehen allem einen Kontrast, den es dort wohl nur einmal jährlich gibt…

Nachdem sich am Donnerstag erste Voreröffnungspartys abspielten und der übliche Zeltplatzsuchwahnsinn seinen Höhepunkt hatte, konnte man am Freitag in ein Programm starten, dass möglicherweise einige Wünsche offen ließ. Aber bekanntlich lässt sich aus allem etwas machen…

Freitag

Neben den üblichen Veranstaltungen in den bekannten Diskos von Leipzig ließen die Veranstalter für konzertwillige diesmal leider nicht so viel Spielraum. Entweder begab man sich in den Kohlrabizirkus, um sich von Metal niederknüppeln zu lassen, in die Moritzbastei zu recht ausgewählten Bands wie Milu oder Cyan oder aber drängelte sich mit tausenden anderen im Kuschel-Werk II. Zum Kuschelfaktor trug zum einen die Schwüle über Leipzig bei, zum anderen die Menge an dort unterzubringenden Besuchern. Weder drin noch draußen war wirklich irgendwo ein Fleckchen frei, um mal richtig durchzuatmen, ohne gleich ganz raus zu gehen. Aber nichts destotrotz: Stürzen wir uns mal ins Getümmel, es gibt viel zu sehen…

Kosmic Horrör

Für Trekkis war diese Band sicher eine Art Muss, allein des Aussehens wegen. Verkleidet und geschminkt wie Klingonen gaben sie als zweite Band des Abends eine Mischung aus mittelmäßig harter Elektronik mit viel Gitarreneinsatz zum Besten. Dem Publikum war eh schon warm, also machte das bisschen Schweiß auch nicht mehr aus – durch da! Kosmic Horrör ließen ihre Zuschauer eine gute halbe Stunde zu ihrer Musik abgehen, für Fans des gitarrenlastigen Elektros gab es einiges zu hören, für einige andere war diese Mischung vielleicht schon zu viel für Abend oder gerade eben die richtige Einstimmung auf ein Festival. Der Auftritt wurde von Applaus begleitet, was kann eine Band mehr wollen?


Pzychobitch

Ganz gemäß dem Motto, das der Bandname unumgänglich versprüht, gab sich die Band um die (selbst)ironische Sina Hübner mit einem Grossteil der Stücke von „Eletrolicious“, der letzten Veröffentlichung der Band, ein Stelldichein im Werk II. Offensichtlich gut gelaunt und dies auch zeigend, wirbelte Sina zu den abwechslungsreichen elektronischen Klängen von Stefan Böhm und Martin Kovacic über die Bühne. Mit einem Programm von leichtelektronischem über härteres Geballer bis hin zu sehr schräger Elektronik gab die Band zum einen einen guten Schaffensüberblick, zum anderen einige Gründe, sich in der Menge auszutoben und so den Auftritt zu würdigen. So verging hier die Zeit wie im Flug, während oben auf der Bühne auch noch entsprechend gepost und getanzt wurde. Die offensichtliche „Unschwarzheit“ von Pzychobitch war egal und wurde auch so zelebriert, sowohl von Publikums- als auch Bandseite. Das Konzert hat sehr viel Spaß gemacht – Danke!

In strict confidence

Den nächsten Auftritt hatte diese noch eher jüngere, aber mittlerweile doch als Konstante anzusehende Band zu verbuchen. Ständig wechselnd zwischen balladenhaften Stücken und experimentellen elektronischen Stücken decken In strict confidence ein recht großes Spektrum ab und können sich an Fans von vielen Seiten erfreuen. Gewohnt ruhig hinterm Mikro stehend oder über die Bühne hüpfend verlieh Dennis Ostermann den Stücken den entsprechenden Ausdruck. Dies wurde auch vom Publikum entsprechend aufgenommen, welches entweder mitschwelgte oder –feierte. Applaus war hier Standard und so verging eine gute Stunde gemeinsamen Einstimmen auf ein noch vier Tage währendes Festival.


Fetisch:Mensch

Nachdem erste Auftritte des neuen Projekts von Oswald Henke bereits vor dem WGT absolviert wurden, gab sich die Band auch hier die Ehre. Hier schien wie auch schon bei den Goethes Erben gewohnt, alles berechnet, alles perfekt in Szene gesetzt, eben genau das, wodurch sich ein Oswald Henke auszeichnet: eine Art Theaterstück.

Angefangen beim Licht, das den wenn auch etwas theatralisch angehauchten, aber nichts desto trotz üblich beeindruckenden teilweisen knienden Auftritt Oswald Henkes unterstützte, stand auch hier Gestik und Mimik des geborenen Selbstdarstellers und wohl besten Schauspielers unserer Szene im Vordergrund. Gegenüber bisherigen Werken fällt die Musik von Fetisch:Mensch reichlich gitarrenlastiger aus, aber das tat dem aufgrund vermittelter tiefsinniger Inhalte paradoxen Partyfaktor im Werk II keinen Abbruch. Die Band wurde ebenfalls ausreichend mit Applaus bedacht und so hatte das Drängen in diesen Räumlichkeiten auch einen Sinn: ein lohnendes Konzert mit bereits bekannten, aber immer wieder beeidruckenden Zutaten…

Absolute Body Control

Gemeinsam mit Sonar-Kollege Eric Van Wonterghem gönnte sich Dirk Ivens an diesem Freitag seinen ersten von zwei WGT-Auftritten.
Nach dem Motto „Zurück zu den Wurzeln“ ließ es das Duo auf der EBM- und Elektroschiene heftig krachen und verwandelte die Umgebung in den Teil des Hexenkessels, den die vorherigen Bands nicht ganz erreicht hatten. Ihre Musik saugte das letzte bisschen Energie aus den anwesenden Tanzenden. Eric am Keyboard und an den Reglern, Dirk als Verbindungsmann zum Publikum am Mikro auf seine ganz eigene Art dem Rhythmus der Musik gehorchend ergaben die ultimative Kombination für ein schweißtreibendes und vom Publikum sehr gut angenommenes Konzert. Das Werk erfuhr endlich wieder einmal, was Hitze und Party in Kombination wirklich bedeuten. Das tagsüber reichlich schwüle Wetter sorgte für quasi unerträgliche Luft im Innern des Veranstaltungsortes. Spaß hat es dennoch gemacht.


Monumentum II

Als Schmankerl stand für diesen Abend noch das Open-Air-Konzert von In the Nursery an, das gleichzeitig als Eröffnungsveranstaltung diente. Doch nicht nur Festivalbesucher drängten sich hier. Scheinbar ganz Leipzig hatte Wind von dem Licht- und Klangspektakel bekommen und so waren sämtliche zu Aussichtsplätzen umfunktionierbare Stellen auch bald besetzt.
Musikalisch verarbeiten In the nursery Themen von z. B. Richard Wagner und Franz Liszt und ließen mithilfe vieler Lichttechnik das Völkerschlachtdenkmal zu monumentalem Leben erwachen.

Ist dieses Bauwerk schon tagsüber eine sehenswerte Erscheinung, erhielt es in dieser Nacht den Schliff, der es zu einem filigranen Diamanten in Kolossgröße machte. Farbig wurden Teile des Bauwerks derart beleuchtet, dass seine Details, die man vorher zwar schon gesehen haben konnte, nur erneut sah, aber es ist doch etwas ganz anderes, nur diese Teile beleuchtet zu sehen, während der Rest des Denkmals in Dunkelheit versinkt. Eigentlich synchron zur Musik sollte wohl die Beleuchtung stattfinden, was vom gegenüberliegenden Zugang leider nicht ganz gelang. Die Verzögerung des Schalls brauchte schon einen kleinen weniger schönen Beigeschmack mit sich. Beeindruckend war es dennoch. Wurde in einem Moment der Krieger am fuße des Denkmals in weiches licht getaucht, machten kurz später die beleuchteten Fenster des Völkerschlachtdenkmals selbiges zum bedrückend über einem stehenden Moloch.

Insgesamt kann man das Ergebnis dennoch als überwältigend betrachten. Überwältigend war für viele dann auch leider das Gewitter, das in die Veranstaltung mitten hinein plauzte und einem Großteil des Publikums den Anblick versaute.

Samstag

Auch der Samstag gab den bisher weniger zufriedengestellten Vertretern des Metal eine Chance. Der Kohlrabizirkus bot den ganzen Tag lang diese Art des Extremsports, während die Parkbühne den Batcavelern und Goth-Rockern vorbehalten war. Generell gutes Wetter sollte dem zuträglich gewesen sein. Nichtsdestotrotz gab es auch genug Besucher, die trotz des warmen Wetters den Gang in überfüllte Hallen, wie z. B. die Agra-Halle, nicht scheuten…

Angels & Agony, Les Anges De La Nuit und Absurd Minds

Wem die seichtere Elektronik lag, der war hier schon recht gut aufgehoben, denn unter diesem Motto stand zumindest die grobe erste Häfte der Konzerte in der Agra-Halle. Doch auch diese Musik ist sehr partykompatibel, wie sich anhand der Auftritte der drei genannten Bands herausstellte. Ausreichende Basslast und zum Mitbrüllen geeignete Texte sorgten schnell für ein bewegungs- und stimmintensives Konzerterlebnis in der noch wenig gefüllten Halle. Alle drei Bands schrieben Publikumsnähe sehr groß und bauten auf dieser auch immer wieder in der Form auf, es in irgendeiner Form zu integrieren und zum Mitsingen anzustacheln. Zum rein tänzerischen Aufwärmen war das auf jeden Fall die richtige Musik und auch die entsprechende Stimmung.


Orange Sector

Mit diesen Althelden des EBM, die bis Anfang 2006 eine Schaffenspause einlegten, stand ein musikalisch eher gewalttätiges Duo vor den erwartungsvollen Zuschauern der Halle. Zwölf Jahre Pause und kein bisschen müde…

Also tobten Martin Bodewell und Lars Felker gemeinsam zu harten, abgerissenen Rhythmen und verbitterte und kritische Inhalte ins Mikro teils singend und teils brüllend, über die Bühne. Die Energie übertrug sich unverzüglich auf das Publikum und so bekam auch das anwesende jüngere Publikum mal einen Eindruck davon, was wirklich kraftvolle Musik sein kann und dass es dazu nicht nur diverser Bässe, einer stumpfsinnigen Grundmelodie und Filmsamples bedarf. Das Duo kämpfte sich zu seinem recht guten Überblick über ihr bisheriges musikalisches Schaffen auf der Bühne ab, wobei die letzte Veröffentlichung „Bassprodukt“ nicht zu kurz kam, die Besucher hinter den Absperrungen zur Bühne und so ziemlich alle schienen zufrieden mit dem Auftritt. Irgendwann nach viel zu kurzer Spielzeit verließ die Band unter Applaus die Bühne…

Rotersand

Mit diesem Namen einher geht der Ruf schier endlosen Spaßes, den die drei auch nicht umsonst haben. Rein musikalisch in unserer Szene eher zu fröhlich klingend angesiedelt vermitteln sie mit ihren Texten doch gerechtfertigte Denksätze, aber auf einen Festival steht eh der Partyfaktor im Vordergrund. Diesem wand sich das Trio auch zu und schmetterte dem Publikum zum größten Teil Tanzflächenkracher entgegen, das darauf gut einstieg. Auch balladenhafte Stücke wurden aber gut angenommen und demzufolge verging eine knappe Dreiviertelstunde Spielzeit wie im Flug. Für einige Stücke kündigte Rotersand-Frontmann Rascal dann noch auf spaßige Art und Weise zwei Spezialgäste an. Unter Jubel betraten dann Tom und Francesco von [SITD] die Bühne und arbeiteten gemeinsam mit Rotersand daran, das Publikum an seine Grenzen zu treiben. Tom unterstützte Rascal beim Gesang bzw. löste diesen sogar ab, Francesco ging seinem üblichen Geschäft im Hintergrund hinter den Keyboards nach.

Insgesamt war es ein sehr spaßiger und erschöpfender Auftritt, der die Anwesenheit in der Agra-Halle gelohnt hat.


Psyclon Nine

Bereits vor zwei Jahren konnten sich die provokativen Amerikaner auf dem WGT richtig auslassen. Damals diente ihnen das prachtvolle Haus Auensee als Selbstdarstellerbühne. Mit ihrer Spielzeit in der Agra-Halle haben sie sich mittlerweile einen weit wichtigeren Platz in der WGT-Wichtigkeitsskala erkämpft.

Provokativ sind sie zumindest noch immer und auch an ihrem Musikstil hat sich nicht so sehr viel geändert. Letzteres wurde seit dem zweiten Album um viel Gitarrenlast ergänzt, die harsche Elektronik und die kreischende und krächzende Stimme Nero Bellums ist weiterhin Bestandteil.

Die gesamte Band betrat schon blutverschmiert und –verkrustet die Bühne und legte von Anfang bis Ende ein gehöriges Maß an Tempo gegenüber dem bisher präsentierten drauf. Sie rockten aufgrund ihrer Gitarrenlast die halle dann wirklich mal. Über Sinn, Unsinn oder Hintergrund der Provokationen dieser Band in Form von Bücherzeriss vor zwei Jahren oder diesmal dem offensichtlichen Tattoo „Übermensch“ auf Neros Brust kann man sich sicher endlos streiten. Der Samstag war als elektronischer Abend gedacht und insofern wurde auch diese Band dem gerecht.

Front 242

Quasi als Väter des EBM standen nun sie als Headliner des Abends auf der Bühne. Angesichts ihrer umfassenden Diskographie wurden ihnen auch knappe eineinhalb Stunden Spielzeit eingeräumt. Wie sich herausstellte, war diese Zeit auch absolut angemessen, weil sie sowohl vom Publikum als auch von der Band voll ausgeschöpft wurde.

Es ist beachtlich, was Musik an Kraft verursachen kann, denn die Elektrogewitter und Klangstakkatos der Belgier schienen keine Schwäche zu kennen. So brüllte sich Jean-Luc De Meyer mit seinen Bandkollegen ins Herz der tobenden Masse. Es wurden fast nur Hits gespielt, aber auch diese gaben einen guten Überblick über das sowohl technoidere als auch das EBM-lastigere Schaffen der Band. Über Zugaben ließ sich natürlich auch reden und so taumelte der eine oder andere sicher völlig erschöpft ins Bett, während der grossteil dieser schwarzbunten feiernden Gemeinde die Nacht noch jung nannte und auch entsprechend behandelte…

Sonntag

Etwas matt konnte das Line-Up des Sonntags durchaus genannt werden. Fast alles hatte man schon irgendwo einmal gesehen, von daher schien dieser Tag den Kreativen gewidmet. Doch man soll sich schließlich nicht unterkriegen lassen und klapperte eben die Geheimtipps des einen oder anderen ab oder genießt das, was sich vor Ort bietet: Leipzig. Als eine von zwei Metropolen Sachsens bietet die Stadt in seiner Waage aus Verfall und bereits erfolgter Restauration eine Unzahl von Möglichkeiten, Zeit herumzubekommen. Seit es Leipzig selbst, das z. B. mit seinen vielen Kirchen den einen oder anderen anzog oder Leipzigs Umland, es gab vieles zu sehen, wenn man denn wollte.


Kirchenruine Wachau

Nachdem der ursprüngliche Kirchenbau der Gemeinde Wachau der Völkerschlacht zum Opfer fiel, wurde eine ehemals vermutlich sehr schöne neogotische Kirche an ihrer Statt gebaut. Von den Ausmaßen nicht wirklich überwältigend, vermutlich jedoch reich und sehr fein ausgestattet sollte sie damals eine Augenweise dargestellt haben. Leider fiel diese Einrichtung dem II. Weltkrieg quasi komplett zum Opfer. Seitdem stehen nur noch die Außenwände, anhand derer sich eine wunderbare Örtlichkeit ableiten lässt. An beiden Seitenschiffen befinden sich die Reste riesiger Ornamentfenster, im Inneren sind ebenfalls Reste der ehemaligen Decke zu entdecken. Die Innenausmalung ist zum grossteil noch erhalten und zeugt ebenfalls noch vom ehemaligen Reit der Kirche.

Es stehen weiterhin nur die vier Wände, doch wird die Kircheruine seit ihrer Rettung vor dem Verfall Mitte der 90’er Jahre wieder zu Gottesdiensten und sogar zu Konzerten genutzt. Als Lokalität für ausgewählte Konzerte des WGT ist die Kirche sicher auch gut vorstellbar.

Die Paul-Gerhardt-Kirche am Connewitzer Kreuz

Direkt den Berg scharf rechts am Werk II hinunter thront eine der Kirchen eigentlich recht auffällig und doch zu sehr versteckt. Als Neubau des gerade sich zum Ende neigenden 19. Jahrhunderts ist sie noch recht jung und man mag hier nicht all zu viel Gutes vermuten. Jedoch ist die Kirche mit einer halbtonnenförmigen Holzdecke und einer aufwendigen Holzinnenausstattung ausgestattet, die ihresgleichen sucht. Die Holzausstattung ist zum einen durch ihre Großflächigkeit und Dominanz in der Kirche, zum anderen durch ihre dennoch vorhandene Filigranität sehenswert. Diverse Schnitzereien, Vergoldungen, schätzungsweise Beizungen und Einarbeitungen anderer Holzsorten machen diese Ausstattung zu einem vielfältigen Kleinod. Die originalen Fenster gingen leider durch die Bombenangriffe des II. Weltkrieges verloren, wurden glücklicherweise aber 1954 durch farblich angemessene Fenster ersetzt. Der sich anbahnende Stil der 60’er Jahre mit eckigen und kantigen Formen an ihnen ist unverkennbar, er fügt sich jedoch aufgrund des einfallenden Lichts wunderbar ins Gesamtbild der Kirche ein.

Riskiert ruhig mal einen Besuch, bevor Ihr nächstes Jahr sinnlos vor dem Werk II wartet…


Leipzig generell

Diese Stadt verdient viel Augenmerk. Natürlich lässt gerade Pfingsten kaum Zeit, sich auch noch um andere als unsere Subkultur zu kümmern, aber nur ein Stündchen der langen Zeit in Leipzig reicht aus, Ecken von Leipzig zu sehen zu bekommen, die die im Fall begriffene Stadt zeigen, die sich dank ihres Potenzials gerettet hat. Leipzig ist nicht mehr nur verfallend, es ist zum etwas anderen Lebensinhalt geworden. Neben Ruinen stehen restaurierte Prunkbauten, deren untere Etagen mit Straßencafes zum Entspannen einladen. Aber nur zu Fuss oder mit Genuss erschließt sich Leipzig wirklich…

Bedauerlich in all dieser doch-irgendwie-Idylle sind diverse Gruppierungen, die ein bekanntlich friedliches Festival durch An- und Übergriffe stören. Neben diversen möglicherweise grenzwertig anmutend gekleideten Festivalbesuchern, im speziellen Neofolker, die im UT Connewitz ihrer ganz speziellen musikalischen Art der Behandlung der Spezies Mensch nachgingen, wurden auch am Festival völlig unbeteiligte Straßenbahnbenutzer im Raum Connewitz in Mitleidenschaft gezogen. Ein Besuch sowie Berichterstattung jener dort stattgefunden habenden Konzerte konnte aus Sicherheitsgründen leider nicht erfolgen. Wieso man diverse politische Hintergründe nicht auch verbal erörtern kann, ohne Unbeteiligte hinein zu ziehen, wird wohl das Geheimnis der Eigentorschützen aus Connewitz bleiben…

Seabound und Conetik im Kohlrabizirkus

Dieser Tag war im Kohlrabizirkus der seichteren Elektronik, dem Synthiepop bis hin zu ansatzweise treibenderem Elektro, verschrieben. Mit Seabound erlebten die Festivalbesucher einen der hoffnungsvolleren Acts der letzten Jahre. Hauptsächlich dem Futurepop verschrieben, der sich mit härteren Elementen gepaart der Musikrichtung nähert, die man wohl am besten als die neue Art massentauglichen Industrials beschreiben kann, brachten sie ebenso wie Conetik ein tanzwilliges Publikum feiernd in die Nacht. Conetik kamen dabei etwas eintönig und wenig abwechslungreich rüber, dem Durchschnittsbesucher dieses Veranstaltungsortes dürfte dies jedoch ausreichend Spaß und die Vertreibung möglicher Langeweile beschert haben.


Tyske Ludder auf der Parkbühne

Tyske Ludder, die sich mittlerweile auch wieder aus der Senke der Uneinigkeit und den Folgen der sinkenden Nachfrage nach EBM erhoben haben, können auch noch immer ziemlich kräftig auf die Ohren geben. Selbst eingeordnet bezeichnen sie sich als Mischung aus Industrial und einer Atombombe, ich wage zu behaupten, die Jungs machen recht ruppigen, etwas prolligen EBM mit viel Hintergund. Die Texte sind (gesellschafts)kritisch(e Denkansätze), die Musik hart und kompromisslos, also letztendlich nichts für Weicheier. Wie es in dieser Szene üblich scheint, begrüßte Albert-X sein publikum erst einmal mit einem fröhlichen und freundschaftlichen „Schön, dass Ihr da seid, ihr Penner!“, was auch entsprechend aufgenommen wurde und keinesfalls in den falschen Hals kam. Auf diese gewöhnungsbedürftige Begrüßung folgte ein angenehmes Massentoben im vorderen Bühnenbereich. Wer das und die angesichts der Hitze gut gemeinten Erfrischungen durch die Band nicht genießen konnte oder wollte, war weiter hinten wesentlich besser aufgehoben. Mit ihren Hits „Monotonie“, „An vorderster Front“ und „Bartholomäus“ und ähnlich schlagkräftigen Stücken schmetterten sie den zuschauern an krachiges Stück Musik entgegen, das hundertprozentig livetauglich ist. Wer diese Art Musik mag, hatte hier viel Freude. Es war ein mitreißendes Konzert der etwas groberen Art.

Faun im heidnischen Dorf

So sehr man Mittelalter und das ganze Drumherum auch verteufeln kann und mag, eins muss man dem heidnischen Dorf lassen. Es ist urgemütlich und genau die richtige Kulisse, um etwas runterzukommen und tatsächlich trotz des ganzen Treibens ein Fleckchen Ruhe zu finden. Dazu trug wie auch schon in den letzten Jahren das einmalige Ambiente größtenteils ohne Elektrizität und zum anderen die eine oder andere Band bei. Eine dieser auffallend guten Bands ist Faun. Ihre Publikumsnähe, Freude an Konzert und Publikum und vor allem der Musik sind immer wieder ein Fest für die Sinne. Die Band übertraf sich wieder selbst setzte einem gemütlichen Abend im Kreise herrlich angetrunkener oder einfach nur anderssüchtiger Leute die Krone auf. Schlichtweg schön wars…

Montag

Diente der Sonntag dem eher gemächlichen Festivalleben, pulsierte am Montag das Leben förmlich. Während es die Mittelalterfans in die Agra-Halle zog, um sich dort einer zehnstündigen Dauerfeier hinzugeben, bot die Parkbühne wieder beeindruckende Akkustik um Eisbrecher und Der Fluch. Der Kohlrabizirkus war das Ziel aller elektronisch veranlagten und jener, die dorthin einfach mitgeschliffen worden…


Christian Aster im Cinestar

Doch bevor es ins richtige Getümmel ging, gab es noch einen Bildungspflichtgang für dieses WGT, endlich eine Aster-Lesung!

Von bitterböse bis fast zart in den Allerwertesten tretend kann er wohl alles. Seine Lesung begann er mit schon recht lustigen einleitenden Worten, was immer wieder gefordert wird und vorgetragen werden soll und dass er ja sowieso viel zu wenig Zeit habe. Nach viel belustigendem und damit zweckerfüllendem Geschwafel über fehlende Zeit ging es dann nach Mittelerde. In einer einzigartigen Mischung aus Wilhelm Buschs „Max und Moritz“ mit zwei Orks als handelnden Charakteren brachte der sympathische Schreiberling, der auch das Vortragen brillant drauf hat, den ganzen Kinosaal zum lachen und teilweise sogar zum Brüllen.

Mit diversen kleineren Anekdoten und Gedichten verplemperte Christian von Aster noch mehr von seiner Zeit und mit der im Hintergrund über die Leinwand bebilderten Geschichte von „Herrn Alptraum und den Segnungen des Fortschritts“ gab er sogar eine erheiternde, irgendwie auch spannende und ebenso etwas nachdenkliche Geschichte über die Liebe zu Besten.

Vorsicht, Aster könnte süchtig machen!

Proceed

Während die letzten Klänge von Tantrums brachialem Klangwerk verhallten, konnte sich die EBM-Gemeinde erneut auf Futter freuen. Die mittlerweile eingesessenen Nachwuchsler von Proceed gaben Stücke ihrer bisher zwei Alben und auch etwas neues zum besten.

Die Gratwanderung aus alten Standardelementen von Vorbildern und Vorreitern wie Nitzer Ebb, die Krupps oder Front 242 und moderneren Elementen wie sehr viel Melodie meistern sie derart, dass sich eine fast massentaugliche Mischung ergibt, der sich nur wenige entziehen können. Dieser große Pluspunkt war es dann auch, der selbst eine große Halle wie den Kohlrabizirkus problemlos voller werden und keiner Berechtigung entbehren ließ. Mit einem Gastauftritt konnten die Künstler auch aufwarten. Pontus Stahlberg, besser bekannt durch Spetsnaz, unterstützte mit fieser Mimik und grollender Stimme.

Dive

Wie schon erwähnt, hatte Dirk Ivens zwei Auftritte beim WGT. Als Solokünstler trat er nun hier im Kohlrabizirkus auf.

Wie üblich bewaffnet mit CD-Spieler, Megaphon und jeder Menge freisetzenswilliger Energie ging es auch ruckzuck ans Mikro und von da an quer über die Bühne. Ob echt geschrieen oder verzerrt durch das Megaphon, Dirk Ivens zeigte wie immer, dass er sich noch recht fit gehalten hat und dass Noise nichts für Weicheier ist. Ohrenschutz war hier angebracht. Dauerzappelnd auf der Bühne muss man Dirk schon einigen Respekt zollen, dass und wie er das durchhält. Ebenso zu seiner üblichen Show gehört das irgendwann offene Hemd, was angesichts mehrerer besuchter Auftritte irgendwann abgelutscht scheint. Doch gefehlt, es krachte wie immer gut rein und auch dieser Auftritt hat gefallen…


Heimataerde

Emporkömmlinge könnte man sie nennen, bewegen sie sich doch noch nicht all zu lange in unserer Szene, aber lockten einen sehr großen Teil des Publikums an diesem Abend an.

Ihr Konzept, cluborientiert tanzbare Musik zu produzieren, geht definitiv auf, auch live. Stampfende Rhythmen, verbunden mit Elementen, die eine gänzlich andere Zeitepoche erahnen lassen, um die es inhaltlich geht, sind an heutigen Szenemaßstäben gemessen schon irgendwie stimmig. Dementsprechend ging auch das Publikum zur eher spärlichen Show der Band ab. Sehenswert war die Kostümierung der selbst ernannten Ritter. Sie zeigte sowohl Kreuzritter als auch deren Widersacher, die Muselmanen und zeigte zumindest, worum es inhaltlich bei der Band geht. Die Kreuzzüge, die dazu dienten, Jerusalem zu erobern, mögen eine umfassende Inspiration sein, aber irgendwas passte hier nicht. War es der schlechte Beigeschmack, dass es selbiges schon einmal gibt, sich alles nur in einer anderen Zeitepoche abspielt und sich Feindflug nennt oder ist es einfach so, dass Kreuzritter keine Mikrofone in die Hand nehmen sollten? Musikalisch partytechnisch ok, aber Jungs, lasst die alberne Show besser sein!

Dismantled

Hier ging es auch gleich mit dem Geballer weiter. Die Amerikaner standen ihren Mann besser als ihre Vorgänger Heimataerde. Zugegeben, in Rüstung lässt es sich sicher schlechter abgehen als in Splitterschutzweste, aber jedenfalls trugen sie dem Sinn ihrer Musik, der Tanzbarkeit, eher Rechnung. Frontmann Gary Zon animierte das Publikum wirklich zum mitmachen. Einerseits flippte er selbst ziemlich aus und wirbelte über die Bühne, andererseits rissen seine Aufforderungen an das Publikum, sich zu beteiligen, nicht ab. Alle Achtung, sympathische und mitreißende Präsentation eher belangloseren Elektros…


Fixmer & Mc Carthy

Konnte man McCarthy letztes Jahr auf dem WGT bereits als Frontmann von Nitzer Ebb erleben, war dieses Jahr die Zeit gekommen, sich auf diesem Festival erneut feiern zu lassen, aber von etwas anderem Publikum.

Mit Pornobrille und die Coolness selbst stakste McCarthy recht gemächlich über die Bühne und gab zu den Klängen seines Kollegen Terence Fixmer den Text singend zum besten. Den Fans von Nitzer Ebb, falls welche anwesend waren, dürften nur die eher letzten Lieder geschmeckt haben, der Rest des Auftritts war leichttechnoider Art und lud eher zum trancigen Verweilen anstatt zum hemmungslosen Abfeiern ein. Gelungene Präsenz und Selbstdarstellung, aber eindeutig zu sehr Geschmackssache!

Cassandra Complex

Als Headliner präsentierten die Veranstalter des WGT Urgestein einer Mischung aus Elektronik und Punkelementen mit jeder Menge Gitarre. Es ist löblich, dass derartige Bands an eine derartig bedeutende Stelle im Programm vermerkt werden. Nur so kann der eine oder andere Dauer-WGT-ler zu den guten alten Sachen kommen oder weitere, eher jüngere Szenemitglieder einmal an den wurzeln unseres musikalischen Daseins schnuppern.

Mit viel Gewalt durch dominante Gitarren, Licht und Stimme rockte die Band um Rodney Orpheus mit den Verbliebenen in die Nacht. Stimmlich und instrumental waren die englischen Musiker überzeugend, von der Musikrichtung her nicht jedermanns Ding, aber zumindest sollte jetzt diese eine spezielle Bildungslücke für viele Besucher geschlossen sein.


Dernière Volonte

In dekadentem Ambiente, wie sich das diverse Neofolker gern nachsagen lassen und dies auch freudestrahlend ausleben, gab es den ganzen Abend über auch einige Auftritte. Die Rede ist vom Volkspalast, der schon letztes Jahr bewundernde Blicke einheimste und neben einer hier angemessen angesiedelten Fetishparty auch einen Abend lang für die Musik sehr passend war, die letztes Jahr größtenteils im Anker untergebracht war. Zeit blieb nach dem Kohlrabizirkus leider nur noch für Dernière Volonte, aber dieses Konzerterlebnis war etwas ganz besonderes. Mag die Musik nicht jedermanns Sache sein, aber man muss ihnen lassen, dass sie ihr Handwerk verstehen. Live gab es hauptsächlich Getrommel und Gesang in gediegenerem Tempo zu hören. Ihre monumentale Musik wirkte in sehr prunkvoller und gut ausgeleuchteter Umgebung und aufgrund der Höhe des Konzertraumes nur noch großartiger und so machten einige fast klassisch anmutenden Stücke das Konzert fast atemberaubend. Herrlich ironische Einlagen waren die seltsamen Blicke, die Frontmann Geoffrey D. einigen sich rein optisch wohl verirrt habenden Besuchern unter die abgezogenen Atemschutzmasken warf.

Fazit

Damit war auch dieses WGT schon wieder zu Ende. Rein bandtechnisch wurde vereinzelt hochkarätiges geboten, die flaue Masse zwischendurch jedoch ließ die Entscheidungen einiger, dieses mal einfach fernzubleiben, durchaus nachvollziehbar sein. es wurde schon einiges aufgefahren, aber irgendwie fehlte DER Kracher. Es ist schwierig zu erklären, abe diesen Eindruck hatten leider zu viele der befragten Treffensbesucher. Durch die teilweise nicht so irre Bandauswahl rückte aber der Treffenscharakter wieder etwas mehr in den Vordergrund und glich vieles aus.

Letztendlich behalte ich auch dieses WGT in guter Erinnerung, weil mitsamt dem Drumherum im Gesamtbild alles stimmig war. Bis nächstes Jahr!

Autor: Michael

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