Beim Namen Hanin Elias assoziiert man meist zuerst rebellisches Megaphon-Geschrei bis hin zu hartem Cyberpunk. Mit Alec Empire und Co. brachte die Digital-Hardcore-Queen die Bühnen Europas zum Wackeln und so manches Trommelfell zum Platzen. Doch vorbei sind die noisigen Atari Teenage Riot-Zeiten: Nach „No Games No Fun“ folgt nun Hanin Elias’ zweiter Streich auf ihrem eigenem Label “Fatal-Recordings“. Mit TweakerRay im Schlepptau, der u.a. schon mit Kiew und Pzychobitch gearbeitet hat, möchte Hanin ihr ganzes Potential beweisen.

F: Hallo Hanin! Danke, dass du dir Zeit nimmst für dieses Interview.
Wie bist du auf den Albumtitel „Future Noir“ gekommen? Hat das Genre
„Film Noir“ vielleicht die Inspiration gebracht?

H: In erster Linie war zuerst der Titel da, weil er für mich ein
eleganteres No Future
darstellt und auch weil ich diesem Genre verfallen bin.

Der Text vom Titeltrack drückt eigentlich am besten aus, was Future
Noir für mich bedeutet. Wir wachsen in einer Zeit auf, in der es Aids,
Genmanipulation, Monokulturanbau, moderne Seuchen, Allergien,
Globalisierung, Psychosen, Monopolisten,1. und 3. Welt,
Weltherrscher, Terror und Liebesunfähige und riesig ansteigende
Klassenunterschiede gibt. Das spiegelt für mich der Titel und das
Cover wieder.

Es hat auch etwas schön-düster Trauriges, sich diesem Schicksal zu
ergeben und es ist wie ein Sog, der einen immer wieder runterziehen will.
Das ist das Gefährliche. Die Lethargie. Die hat uns im Moment fest
im Griff.

Da muß etwas geschehen. Daran hab ich gedacht, als mir der Titel
einfiel.

F: Vergleicht man deine aktuellen Tracks mit denen aus deiner Atari
Teenage Riot-Schaffensphase, so merkt man, dass du eher weniger auf harten
Noise sondern mehr auf kontrollierte Elektronik baust. Was
unterscheidet
dich menschlich und musikalisch von der Hanin Elias, die bei ATR hinter
dem Mikrofon stand?

H: „Hinter dem Mikrofon stand ist gut“…ich war 10 Jahre in einer
Band, in der ich immer hinter Alec Empire stand, weil er natürlich
ein besonderer Musiker und Mensch war,
der an ein Genie grenzt. Wir tourten, wir stritten, es war immer eine
Art konstruktiver Machtkampf zwischen uns, der sehr inspirierend war.
Meine Schwangerschaften (ich habe inzwischen 2 Kinder) trieben einen
Keil zwischen uns, auch Carl Cracks Selbstmord und so einiges mehr
ließ uns auseinander treiben.

Wir entwickelten uns in unterschiedliche Richtungen, ich löste mich
aus seinem Bann
und verließ das Label DHR.

Die Zeit der 90er war auch irgendwie vorbei und ein anderes
Lebensgefühl beschlich mich. Auch sah ich mich als Frau anders
behandelt und wollte etwas dagegen unternehmen.
Ich gründete Fatal-Recordings als unabhängiges Label und lebte
meine eigenen musikalischen Ideen aus. Ich hatte natürlich nicht
mehr die Mittel und das Equipment,
eigentlich hatte ich gar nichts außer Ideen, guten Freunden und
meiner Stimme.

Ich beschloss, dennoch meine Songs herauszubringen, indem ich mit
Musikern ein Collaborationsalbum machen würde.
Heraus kam „No Games No Fun“ mit Collabs von J Mascis, C.H.I.F.F.R.E
(der das Album auch produzierte und vorher noch nie Musik gemacht
hatte…),Alexander Hacke, Khan etc. Es war herrlich mit ganz
wenigen Mitteln von vorne anzufangen.

Dann kam Tara De Long´s „You do the Math“ auf Fatal Recordings raus,
ein Hip Hop-Elektro-Album von der in Mexico lebenden Amerikanerin,
die vorher bei Bedroom Prod.
mitmischte.

Der nächste Release war „too Kunst“ von der Band „Kunst“, die man als
Guitar Noise bezeichnen könnte. Die Band stammt aus Lausanne, ich
sah sie auf einem Underground-Filmfest spielen und war hin und weg
von soviel gefährlicher Energie!

Die Alben waren recht erfolgreich, doch unser Vertrieb EFA meldete
Insolvenz an, das hieß für uns finanziell: Alles umsonst!
Dennoch ging es weiter.

Mein Musikgeschmack war immer sehr weitgefächert und in meiner
Teenager-Ausreißerphase hörte ich viel düsteres elektronisches
Zeug. Es war aber nie so, dass ich ausschließlich einen Style gehört
habe. Augenblicklich stehe ich auf Beach Boys (Pet Sounds ist ein
cooles Album!)etc.

Mit ATR hatte ich aber verständlicherweise nicht die Möglichkeit zu
experimentieren.

Als ich TweakerRay auf einer Liveshow in Hamburg kennenlernte, war
ich hingerissen von seiner positiven Energie, und wie er auf die
Bühne gesprungen kam und voll mit uns abging, ließ noch nicht
vermuten, dass er ein so grandioser Producer und Composer war.
Das bemerkten wir erst auf der Fahrt zurück nach Berlin, als wir
seine Demo-CD reinwarfen. Es war genau der Sound, den ich mir für
„Future Noir“ ausgemalt hatte, clean, tief, dark und melancholisch.
Ich kontaktierte ihn eine Woche darauf und fragte ihn, ob wir nicht mal
einen Song zusammen machen wollen, er war hellauf begeistert! Daraus
wurde dann ein ganzes Album „Future Noir“.

F: Dein neues Album wirkt viel persönlicher als sonst. Was war dir
wichtig
zu vermitteln mit „Future Noir³?

H:Ich war sehr emotional und verletzlich in dieser Zeit.Ich hatte
das Gefühl, mein letztes Album zu machen und war sehr melancholisch
und offen.

Die Zeit hat mich total geplättet und es ging nur noch darum, zu
kämpfen und sich durchzubeißen, um mit Musikmachen weitermachen zu
können.

Ich beschloss, mich den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen mit verletzlichem
Gesang,
aber auch weiterhin kämpferisch und sexuell zu sein.

Es ist diese widersprüchliche Zerrissenheit, in der ich mich befand.
Es ist wie ein „im Grunde geht´s allen gut, aber keiner kann sich mehr
über irgendetwas freuen“-Gefühl, oder es geht immer um die großen
weltbewegenden Dinge um uns herum, aber wir sind unfähig, uns selbst
zu spüren.

Das Jahr 2004. Nahe an George Orwells 1984.

F: Wie kamst du auf die Idee, eine Unplugged Version von „Untouchable“
aufzunehmen?

H: Das war sehr spontan.

Ich wollte es einfach probieren wie es wäre, ganz auf Stöpsel und
Plugs zu verzichten.
Immer minimaler zu werden und dadurch immer näher am Hörer.

F: Du standest schon mit Größen wie Nine Inch Nails, Rage Against The
Machine, KMFDM, Ministry und Prodigy auf den Bühnen der Welt. Gibt es
deinerseits noch Künstler, mit denen du gerne zusammen touren wollen
würdest?

H: Vielleicht mit David Bowie mal….

F: Wann können wir dich eigentlich mal wieder live auf der Bühne
erleben?

H: Ich denke im September/Oktober stehen die Chancen ganz gut für
eine Deutschland-/Europatour.

F: Du hast die Musikentwicklung der 90er Jahre als extrem
mainstream-lastig
deklariert. Wie beurteilst du die Lage auf dem allgemeinem Musikmarkt
heute – 2004 ?

H: Noch extremer. Es gibt ja nur noch einige wenige Labels, die die
letzten Jahre überlebt haben
und die Majorcompanies kaufen sich überall mit ihren öden Acts ein
und verhindern wirkliche Bewegung in der Musik.

Das spielt sich noch viel mehr im Underground ab als zuvor.
Musikmachen ist aber ein Elitehobby geworden, das nur noch rich kids
möglich ist oder eben als Hobby zwischen den hart umkämpften Jobs.
Politik wird weiterhin ausgeklammert, denn das Leben ist ja hart genug.
Die Innovation des Underground wird mit billigen Marionetten
abgekupfert und
so als neues Ding verkauft.

Wenn man in der Maschinerie einmal mit drin hängt ist man im eigenen
Netz gefangen.
Du wirst nur für Shows gebucht, wenn du Platten verkaufst und
verkaufst nur Platten, wenn du tourst. Die Veranstalter wagen nichts
mehr, auch wenn die Nachfrage da ist.

Es müssen neue Wege gefunden werden und wenn das erstmal heißt, dass
man seine Cds in der U-Bahn selbst verkauft.

F: Du bist bekannt als Person, die öffentlich ihre politischen Ansichten
äußert, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Meist finden wir
weltpolitische Topics in deinen Texten und Philosophien. Was hältst du
eigentlich von der momentanen Lage Deutschlands ?

H: Davon rede ich ja die ganze Zeit.
Diese lahme, verwöhnte Generation, in der wir aufgewachsen sind, die
sich um nichts je geschert hat als Love, Peace, Ego, Lifestyle and
Unity unter den Reichen, sitzt jetzt vor ihrem eigenen Müllhaufen
und findet nichts mehr zum Spielen…

F: Was hörst du momentan privat und welche Acts hast du dir als letztes
live angesehen?

H:Ich höre gerade Beach Boys, Phallus über Alles, Team Plastique,
Vanishing
Mediengruppe Telekommander, und mein letztes Life-Konzert war Namosh
im Maria in Berlin!

F: Wie wird es weitergehen mit Hanin Elias in nächster Zeit? Wirst du
weiterhin mit TweakerRay arbeiten?

H:Erstmal bereite ich gerade eine Fatal-Rec. Compilation vor und die
2 neuen Acts, die im Herbst rauskommen sollen.
Außerdem bereite ich mich zusammen mit meinem Gitarristen und
Schlagzeuger auf die anstehenden Liveshows vor.
was dann als nächstes bei mir passiert, weiß ich selbst noch nicht
so genau.

Mit TweakerRay werde ich aber ganz sicher nochmal was machen!

F:Danke für dieses Interview! Im Namen von Mindbreed.de wünsche ich dir
alles Gute!

H: Ich hab zu danken,

gern geschehen, Dir und allen von Mindbreed auch alles Gute!
Hanin Elias

Autor: Francois

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