Um einen besseren Einblick in das Schaffen von Dieter Kulsdom zu bekommen, war der Macher von dKrem. bereit, uns ein Interview zu geben. Von Taschenlampen und Spielpuppen, bis zu Rasierapperaten und Minimal-Electro-Lofi-Jazz.
Eniz: Hallo Dieter, um meinen immer wieder verwendeten Satz am Anfang nicht zu benutzen, frage ich einfach mal so drauf los: Wie geht’s denn so?
Dieter Kulsdom: Gerade heute waren meine beiden Kinder, meine Frau und ich alle etwas traurig, weil meine kleine Tochter Lilly (3) ihre Schlafpuppe verloren hat, als wir nachmittags gemeinsam unterwegs waren. Ich bin dann abends nochmals den ganzen Weg mit einer Taschenlampe abgelaufen, habe auch in alle Abfalleimer geleuchtet (man weiß ja nie!). Leider ist die Puppe nicht wieder aufgetaucht. Wir haben aber inzwischen eine neue bestellt. –
Ansonsten geht’s mir prima.
Eniz: Ich habe noch nie was über Dich und deine Projekte gehört. Und ich denke, unseren Lesern geht es da ähnlich. Wie wäre es, wenn du Anhand einer kleinen Retrospektive erzählst, was du so machst, wie man deinen Musikstil am besten Beschreiben kann und was man sich darunter vorstellen kann.
Dieter Kulsdom: Nun, ich habe schon in den frühen 70er Jahren zu Schülerzeiten angefangen, mich für Musik und Kunst im weitesten Sinne zu begeistern; hatte damals auch ‘ne Band, die völlig abgedrehtes, psychedelisches und experimentelles Zeug gespielt hat; wir sind damit dann 1977 auf dem Festival in Moers aufgetreten.
Im Laufe meines Lehramtsstudiums ist das eigene Musikmachen dann etwas in den Hintergrund getreten; habe mich aber weiter dafür interessiert, und Ende ’79 / Anfang ‘80 mit Freunden, die meist Musik machten oder an der Akademie Kunst studierten, im Ratinger Hof in Düsseldorf die Geburtsstunde von der Neuen Deutschen Welle miterlebt. Das hat mir dann letztlich auch den Kick gegeben, wieder selber anzufangen, was Künstlerisches zu machen.
Ich habe dann fast 12 Jahre lang hauptsächlich gemalt und mir als Bildender Künstler lokal einen Namen gemacht. Zwischendurch gab’s immer mal einige Abstecher zur Musik. Das war aber nie öffentlich.
Ein guter Freund von mir hatte Mitte der 80er ein Tonstudio in Duisburg, in dem wir so manche nicht gebuchte Zeit verbrachten. Wir spielten so ‘ne härtere Art New Wave alà Tuxedomoon, Fad Gadget, Cabaret Voltaire oder Joy Division.
1998 habe ich dann mit meinem Künstlerkollegen Ralf Thiesen die Industrial- und Noise-rockband VX gegründet, weil wir beide einfach den Drang verspürten, wieder Musik machen zu müssen, und auch ein wenig die Schnauze voll hatten von der ganzen gelackten Kunstszene. Die Kunstschiene lief aber dann doch noch einige Zeit parallel mit, bis dann Ende 2000 mein zweites Kind, meine Tochter geboren wurde, und ich mich seitdem vornehmlich wieder dem Musikmachen widme.
Wie du siehst, ist meine Musik verwurzelt in der experimentellen Neuen Musik und im Prog- und Art-Rock der 70er, gepaart mit Punk und New Wave der 80er Jahre. Produktionstechnisch gesehen basiert das alles auf dem guten alten Tape- & Homerecording. Natürlich mache ich mir auch die durch Techno und andere Zweige der elektronischen Musik und neuen Medien verwendete Technologien zunutze, sodass das Ganze mittels Computer und anderer neuer Musikmaschinen nochmals durch den Wolf gedreht wird.
Das ist also der äußere Rahmen, in dem ich mich musikalisch bewege.
Eniz: Was für eine Intention verfolgst du damit?
Dieter Kulsdom: Die Herzen zu erfreuen, aber auch Einblicke in Bereiche zu gewähren, die sonst den meisten von uns verschlossen blieben.
Eniz: Und was machst Du, wenn Du mal keine Musik machst? Womit beschäftigst Du Dich nebenbei?
Dieter Kulsdom: Film, Musik anderer Leute, Literatur, Kunst und natürlich mit meinen Liebsten.
Eniz: Wenn Dich jemand bitten würde, deine Musik in eine gewisse Kategorie einzuordnen, in welche Schublade würdest du sie am ehesten schieben? Auch wenn ich kein Freund von Schubladen-Denken bin, so würde mich das trotzdem sehr interessieren.
Dieter Kulsdom: Industrial Noise-Pop oder Minimal-Electro-Lofi-Jazz!?
Eniz: Als ich deine neue CD und dein neues Projekt „dKrem.“ zum ersten Mal gehört habe, habe ich da zunächst sehr schwer einen Zugang finden können. Es war so, als ob mir die CD immer wieder „entwischt“ wäre, als ich versucht habe, sie zu greifen. Jedesmal, wenn man dachte, jetzt hat man den Dreh raus, war der nächste Track wieder völlig unterschiedlich.
War der Track vorher poppig-jazzig, erwartete einen beim nächsten Track wieder dunkel-atmosphärisches Ambiente. Ist das Absicht von Dir? Oder wie kommt dieser plötzliche Stilwechsel zustande?
Dieter Kulsdom: Da steckt schon Absicht dahinter; obgleich es mich selbst etwas erstaunte, welch bunten Blütenstrauß ich da plötzlich in Händen hielt. Einige der Tracks hatte ich bereits Mitte 2000 einmal auf Tape zusammengestellt. Da waren das noch rohe, rein instrumentale Basic-Tracks. In dieser Form fand ich das Material durchaus homogen und hatte unmittelbar den Eindruck von einem abgedrehten Soundtrack zu einem imaginären Film.
Ab einem gewissen Punkt wollte ich es dann aber mehrdimensionaler, und ich habe angefangen mit verschiedenen Gastmusikern und SängerInnen zu arbeiten, die dann jeweils noch ihren Anteil an der Gestaltung der Songs hatten.
Konkret wollte ich zwei Ebenen: Einmal so etwas wie den Soundtrack zu einem Film, also Loops, Melodiebögen etc., die zum Teil leitmotivisch in den verschiedenen Tracks wiederkehren, und zum anderen eine Art Originalton, wie die Anrufe etc., aber auch bestimmte Musikstücke und Songs, die in einer Szene aus dem Autoradio erklingen, in einem Cafè laufen etc. So erklären sich bspw. Jazzpop-Stücke wie „Radio“, das Eröffnungsstück der CD: Der Protagonist erwacht, schaltet das Radio an und rasiert sich dann bei dieser Musik.
Vielleicht ist dieser Aspekt ja nicht genügend herausgearbeitet, sodass ich da irgendwann noch mal heran muss, die Sache mehr auf den Punkt zu bringen. Aber so ist das mit der Kunst. Ist eine Sache erst einmal fertig, kann man wieder von vorne anfangen. Und so kommen auf der CD diese Wechselbäder zustande.
Eniz: Was sind deine Vorbilder bzw. was hat Dich in deiner Jugend beeindruckt und fließt nun in deine Musik mit ein?
Dieter Kulsdom: Frühe Pink Floyd und früher Zappa, späte Beatles und John Lennon, Plastic Ono Band,
Miles Davis, John Coletrane, John Cage, Karlheinz Stockhausen, Pierre Henry, Brian Eno, John Cale und Lou Reed, Kraftwerk, Neu!, Faust und Can, Wire, Tom Waits, Nick Cave.
Eniz: Ich persönlich finde, was ich auch in der Rezension schon schrieb, dass „dKrem.“ viel von „Die tödliche Doris“ und „Einstürzende Neubauten“ hat. Liege ich da richtig mit?
Dieter Kulsdom: Was die Neubauten anbelangt, sicherlich. Die tödliche Doris kenn ich dagegen nur vom Hörensagen!
Ich habe mal einen interessanten Artikel über die im „Kunstforum“, Thema war da „Kunst und Popmusik“. Die „EN“ habe ich eigentlich früher auch nicht wirklich gehört. Das kam erst durch den Einfluss meines VX Bandkollegen Ralf, zeitlich so ungefähr mit EN’s Album „Tabula Rasa“. Ich dachte dann auch sofort, dass da so etwas wie eine ähnliche musikalische Sozialisation stattgefunden haben muss.
Aber wie dem auch sei: Blixas Stimme und Texte sind einzigartig! Auch die hörspielartigen Sequenzen, und dann besonders F.M. Einheit’s „Radio Inferno“, haben meiner eigenen Arbeit immer extrem entsprochen. Auch, dass die EN bei aller Neutönerei und Industrialanleihen nie den Song vernachlässigen, ist mir in meiner eigenen Arbeit auch immer wichtig; diese Affinität zum Chanson, Sprechgesang etc. So bin ich übrigens auch großer Fan von Serge Gainsbourg oder auch Hildegard Knef!
Eniz: Der Hinweis des Haute-Areal Labels ist, das sie „schwer vermarktbares Material“ publiziert. Das klingt für mich, dass man damit nicht unbedingt die breite Masse erreicht. Willst Du sie denn überhaupt erreichen oder ist Dir das egal?
Dieter Kulsdom: Ich will konkret so viele Leute erreichen, unterhalten und vor allem berühren, wie möglich;
Mache mir da allerdings keine Illusionen, was die „breite Masse“ betrifft. Einen guten Pop-Song zu schreiben und zu produzieren, sehe ich durchaus als eine rühmliche Aufgabe!
Eniz: Arbeitest Du mit den anderen, die unter Haute Areal unter Vertrag sind auch zusammen? Sprich: Unterstützt Ihr Euch da gegenseitig oder habt Ihr miteinander nicht soviel zu tun?
Dieter Kulsdom: Da ich neu dazu gestoßen bin, hab ich bisher nur mit den beiden Labelmachern Fred & Ingo zu tun gehabt. Beides übrigens auch tolle Musiker, die ich direkt für eine Beteiligung an einer der nächsten dKrem.- Produktionen gewinnen konnte.
Einige andere der Haute-Areal-Acts finde ich spannend, und ich wäre da durchaus aus an einer Zusammenarbeit interessiert. Denn das ist auch so etwas, worum es mir mit dem Projekt dKrem. geht: Genre übergreifende Kollaborationen.
Was generell die Solidarität unter Musikern und Künstlern angeht, sehe ich das eher pessimistischer: Jeder ist sich oft genug selbst der Nächste, denn jeder will sein Ding machen und damit erfolgreich sein. Letztlich spielt dabei die menschliche Seite eine größere Rolle als etwa eine Labelzugehörigkeit.
Eniz: Es wurde mir berichtet, dass Du mit einem Kassettenrecorder deines Sohnes Geräusche sozusagen „sammeln“ würdest. Wie läuft das konkret ab? Läufst Du damit herum und nimmst alles Mögliche auf, oder wie kann man sich das vorstellen? Und wie verarbeitest Du das
ganze dann weiter?
Dieter Kulsdom: Das ist eine Sache, die vielleicht in der Ankündigung von „Short Adventures“ etwas überbetont wurde, zumal ich im Endeffekt relativ wenige dieser Aufnahmen für das Album verwendet habe. Ich bin da auch nicht wie blöd herumgelaufen, sondern habe über einen längeren Zeitraum einfach dieses Material gesammelt, hauptsächlich mit dem Kinderkassettenrekorder meines Sohnes aus dem Fernsehen Cuts aus diversen Filmen aufgenommen, meist solche, in denen möglichst keine oder wenig Musik war.
Je nach Art des Ausgangsmaterials gab es dann prinzipiell zwei Arten der Bearbeitung. Einmal benutzte ich sie anstelle von und wie Texte, die ich gewissermaßen nachträglich vertonte. Ein anderes Mal benutzte ich sie als konkrete Sounds, die ich genauso musikalisch weiter verarbeitete wie anderes, eigenes elektronisches oder instrumentales Material.
Eniz: Deine Hauptband ist ja „VX“. Machst Du mit „VX“ weiter oder ist das auf Eis gelegt? Und in wie weit unterscheidet sich „dKrem“ von „VX“, außer der Tatsache, dass Du das nun alleine machst?
Dieter Kulsdom: Nicht auf Eis gelegt! Eher das Gegenteil: Sofort nach der finalen Fertigstellung von „Short Adventures“ haben wir mit der Vor-Produktion für die nächste VX-CD begonnen. Acht neue Tracks sind bereits fertig komponiert und arrangiert. Die CD „Eine Blume feinsten Unbehagens“ wird voraussichtlich Frühjahr / Sommer 2004 fertig sein.
Bei VX stehen die Texte mehr im Vordergrund. Meistens gehen wir auch von den Texten aus, und vertonen die dann. Bei dKrem. läuft es genau anders herum, oder die Texte fehlen ganz.
VX ist darüber hinaus eine Band in fester Besetzung und mit einem klar umrissenen Sound, der sich über noisige Percussion und Gitarren definiert.
dKrem. arbeitet eher Projekt orientiert, erfindet sich jedes Mal neu, je nach meinem jeweiligen Konzept und nach Zusammensetzung der Mitwirkenden; die Elektronik steht mehr im Vordergrund.
Eniz: Wie siehts aus mit einer Tour? Kann man sich das Spektakel auch Live bewundern? Und was ist für die Zukunft so geplant?
Dieter Kulsdom: dKrem. ist ursprünglich ein reines Studio- bzw. Homerecording-Projekt. Mit VX spielen wir vermutlich sowieso einen Teil der Stücke live. Aber ich denke bereits darüber nach, wie dKrem. sich auf der Bühne präsentieren könnte. Da ist jedenfalls in naher Zukunft was zu erwarten!
Konkret geplant sind noch zwei Minialben, die schnell aufeinander folgen werden. Das erste wird ein Coveralbum („Broken English“) mit einigen All-Time-Favourites (Songs von Pink Floyd, Scott Walker, David Bowie und anderen); das zweite („Sumpflandschaft“) wird so was wie „dKrem. plays VX“. Und dann kommt noch eine Film-Musik, die ich für einen Freund schreiben werde.
Eniz: Dann bedanke ich mich zunächst für das geduldige beantworten meiner Fragen. Und weiterhin dann gutes Schaffen, wie man so sagt.
Autor: Eniz












