Experimentelle Musik? Lustwerkstatt? …und das alles soll in der idyllischen Schweiz auf dem Land stattgefunden? Das liest sich nach einem skurrilen bis durchgeknallten, aber erlebenswerten Abend. Das war es dann auch…
Eher mittelprächtig begeistert nimmt man als Besucher Burgdorf anfangs auf, das den Spagat zwischen sachlich-häßlicher Architektur der 70’er Jahre mit den Juwelen vergangener Zeitepochen noch schafft. Die Innenstadt gibt dann schon mehr her, eine sehr gemütliche und verkehrsberuhigte Zone wertet das bisherige Bild auf. Das Gebäude selbst, in dem die Lustwerkstatt dann untergebracht ist, stellte sich als Juwel heraus. Gab die Homepage des Clubs quasi nur das Bild einer potentiellen Domina her, was den Begriff Lustwerkstatt noch bestätigte, entpuppte sich der Veranstaltungsort als absolut einmaliges Skurilitätenkellerkabinett.
Geradezu verschwenderisch viel Kellerraum bietet potentiell einige Möglichkeiten der verwinkelten Unterbringung diverser Musiker und sonstiger Zerstreuung. Neben dem Gewölbekeller, der sich mit seinem klassischen Kellergewölbe als absolut angemessener Resonanzraum für experimentelle Musik anbietet, bietet das Gebäude idyllische und urlaubsangehauchte Außenanlagen, die zum Verweilen oder zur Raucherpause einladen, und diverse Sitz- und Zeitvertreibsmöglichkeiten. Es kann eine Art Folterkammer bestaunt werden, ein Séparée lädt zum intimeren Plausch ein, die Bar ist klein, aber ausreichend. Dann ist da noch der „Leseraum“, eingerichtet mit einigen gemütlichen Möbeln, angenehm unaufdringlich beleuchtet und ausgestattet mit einem Regal, vollgestopft mit recht brutalen, sextriefenden Comics der 70’er Jahre, die hart an der Grenze sind. Ein Weg zu Versorgungsräumen beherbergt noch eine verdrahtete Vitrine mit diversen Accessoires. Zuträglich sind dem ganzen auch die Tierschädelgemälde und die beleuchtete SM-Comic-wand.
Die Gesamtausstattung der Lustwerkstatt ist also ein abwechslungsreiches Sammelsurium von Skurrilitäten, die einiges zur etwas der Realität entrückten Atmosphäre eines besonderen Konzertabends beitragen.
Den Anfang der Konzerte machte FTBPD, in kompletter Länge bekannt als Feine Trinkers bei Pinkels daheim. Jürgen Eberhards Klänge können recht sicher im Genre Ambient eingeordnet werden. Vor allem bei seinen Liveauftritten können diese Klangcollagen auch für Leute interessant werden, die damit sonst weniger bis gar nichts am Hut haben. Woraus sich alles Geräusche gewinnen lassen, die dann aufgenommen und zu Abarten von Melodien verarbeitet werden, lässt sich hier mit Spannung nachvollziehen.
Bereits zu Beginn des Auftritts bewundert man die Werkzeuge des Künstler. Dort liegen diverse Rollen Klebeband, daneben eine Drahtbürste, halbmeterlange Gewindestäbe, Kiesel und diverser anderer Kleinkram, der unmöglich dazu dienen kann, Musik zu machen.
Eine wabernde Grundstruktur macht den Auftakt und schon kniet Jürgen auf dem Boden, um gewöhnliches Schmirgelpapier mit kleinen Mikros in Berührung zu bringen, was dann eine Art unruhiges Rauschen verursacht. Noch des öfteren wird im Verlaufe des Auftritts das Schleifpapier eingesetzt. Es wechselt sich mit Klemmen an den Mikrofonen ab, die ziemlich prägnante Knackgeräusche verursachen, bevor Malerkrepp dafür sorgt, dass rein akustisch brachiale Risse im Klanggefüge entstehen, die sich laut Raum verschaffen. Auch die Gewindestäbe haben noch ihren Auftritt, werden über den Boden geschliffen und aneinander gerieben. Es klingt nach überdimensionalem Reißverschluss, der mit Tempo aufgerissen wird.
So vergeht die Zeit aufgrund der Faszination für völlig andere fast im Flug und umgekehrt der Symphonie mit dem Paukenschlag verstummt plötzlich alles und hinterlässt ungewohnte Stille im Raum…
Cele hatte an diesem Abend ihren ersten Soloauftritt. Nach Auftritten mit dem Electro-Projekt Insurgency und Gastauftritten bei FTBPD und der darauf folgenden Entwicklung ist ihre Musik auch weitergekommen.
Es wurden nicht nur viele neue Stücke aufgenommen und auf dem Debüt „Heartbeat“ veröffentlicht, die Musik reifte auch. Doch noch immer wandelt Larissa Pychlau weit abseits ausgetretener, chartsträchtiger Pfade. Recht eigenwilliger und meines Erachtens komplizierter Gesang an nahezu unerreichbar scheinenden Grenzen der menschlichen Stimme trifft auf gleichzeitig minimalistische und trotzdem mehrschichtige musikalische Untermalung.
Larissa besingt eher alltägliches, aber auf so außergewöhnliche Art und Weise, dass es zu etwas Außergewöhnlichem wird. Trotz offensichtlich weniger Bühnenerfahrung sitzen Stimme und Einsatz. Eine derart (aussage)kräftige Stimme traut man der eher zierlichen Künstlerin gar nicht zu.
So trug Cele ihrem Publikum wechselnd ruhigere Balladen oder abgehackte stakkatoartige Passagen vor, die von ebensolchen Klängen untermalt sind.
Eine gute halbe Stunde gab uns die Künstlerin zu hören und krönte das Ganze mit einer Neuinterpretation des Klassikers „Summer wine“, die fast schon apokalyptisch ausfiel, aber stimmig präsentiert wurde.
Von kleinsten Patzern abgesehen kann man den Auftritt für die bisherige Bühnenerfahrung als überaus gelungen betrachten. Ich bin gespannt auch weitere Termine.
Chris Sigdells Projekt B°tong bildete den Abschluss des Abends und leider auch eine Art Ausklang in negativer Wortbedeutung. Für mich war es der kreative und akustische Tiefpunkt der drei Projekte in Folge. Weitab der Standards kann gut sein, aber sooo weit abseits ist dann schon befremdlich. Man kann nicht zwangsweise mit allem an Ambient, das geboten wird, warm werden, aber hier funkte leider gar nichts, was meinerseits auch zu einem vorzeitigen Verlassen des Gewölbekellers führte.
Die Arten des Machens der Antimusik waren ebenfalls interessant, wie z. B. die mit einer Stahlfeder und deren Dehnung, aber es gab keinen überspringenden Funken. Hatte Jürgen zuvor seine Sache zu gut gemacht, hatte Cele die Meßlatte in Sachen Anspruch zu hoch gelegt? Schade eigentlich…
Unmittelbar vor den Auftritten und auch noch geraume Zeit danach sorgte DJ Mannaz für ungewöhnliche Beschallung aus unterschiedlichen Sparten, jedoch vornehmlich industriellen, und endzeitlichen Charakters. Angenehm kompakt und bedrückend und kam dieses vielerlei Gerumpel im Keller rüber und sorgte noch eine ganze Weile für ein ausgewogenes Beisammensein.
Eine sehr außergewöhnliche Lokalität, ein paar ebensolche Projekte mitsamt einer guten und sehr netten Organisation können auf jeden Fall einen ausgefallenen Abend bescheren. Einziger wirklicher Wermutstropfen war hier das ausbleibende Publikum. Dem Veranstalter vermieste das zum Glück nicht die Laune und weiteren Veranstaltungen sieht er freudig entgegen.
Bis bald!
Autor: Michael












