Der elektronische Sektor der Gothicszene hat nicht oft Neues zu bieten. Das machen November Process auch nicht wirklich, aber die verschiedenen Einflüsse der Bandmitglieder lassen zumindest sehr viel Vielfalt innerhalb eines Albums zu.
Die Band besteht aus drei Mitgliedern und wurde bereits im Jahr 1999 gegründet. Schon 2001 konnte man erste regionale Erfolge verbuchen, Einzelstücke wurden zu Festbestandteilen von DJ-Setlists, durch viele Liveauftritte sammelte die Band Erfahrung und wurde bekannter. Mit dem 2004 erschienenen Debüt zeigten sie dann, dass es durchaus möglich ist, mehr als nur Deppenelektro zu machen.
Mit „Stability“ startet der Hörer in relativ übliche Elektrogefilde. Während eine recht eingängige Synthiegrundstruktur vor sich hin klimpert, sich gemächlich die Bässe dazugesellen und man nichts so Besonderes mehr erwartet, setzt Chucks Gesang ein und der ist nicht üblich.
Erst kehlig geknurrt, dann geflüstert, dann wird tatsächlich richtig gesungen und dies alles erinnert an die Musik entfallener Projektnamen vergangener Generationen. Hier wird Gesang aus den Zeiten des Dark Elektro sehr gelungen mit modernen Elementen verknüpft.
„Romad“ gibt erst einmal ein höheres Tempo an und hält sich bis auf gehauchte Textsequenzen auch daran. Zusätzlich sorgen vereinzelte Gitarrenriffs für etwas Andersartigkeit, aber sie fallen kaum auf, runden vielmehr das Gesamtbild einer Symbiose aus Futurepop und härteren Eingriffen ab.
Nach etwas mehr als üblicher Kreativität enttäuscht „Deorganized dreams“ fast. Es fließt irgendwie zu sanft vor sich hin, klimpert sehr ähnlich dem ersten Stück elektropoppig vor sich hin und nur die eine Zwischensequenz in der Liedmitte, die wie eine Neuadaption einer Westernmelodie klingt, reißt es ein wenig raus. Unspektakulär, aber schön beruhigend.
Es wäre eigentlich Frevel, „Infernal Desire“ als das Stück dieses Albums zu bezeichnen, denn auch der Rest ist recht überzeugend, aber dieses Stück ist einfach nahezu perfekt. Es beginnt mit einem unterschwelligen Dröhnen, ein paar Trommelschlägen sowie dem Stöhnen einer Frau und steigert sich in ein ruhigeres Feuerwerk recht anspruchsvollen Elektros. Wechselnd zwischen sehr minimalistisch und relativ vielschichtig braucht das Lied etwa bis zur Häfte der Länge, um überhaupt in Schwung zu kommen. Die Melodieführung widerspricht allem, was man als tanztauglich bezeichnen würde, aber genau das gefällt an dem Stück. Es ist ein Stück zum Dahinträumen ohne große Hemmungen, auf der Tanzfläche auch mal stillzustehen, um nur kurzzeitig in etwas mehr Bewegung zu verfallen. Sehr gelungen und plötzlich ist es viel zu schnell vorbei.
Für das Erwachen sorgt dann „Decadence“. Monotoner Gesang, eingebettet in treibende und absolut stimmige Instrumentalik, sehr gut hörbar, wenn auch fast einfallslos für das, was die Jungs scheinbar wirklich können.
Als Ballade ist „Detachment“ wohl nicht falsch bezeichnet. Es geht die komplette Spielzeit sehr ruhig zur Sache, klingt tragisch, teilweise fast weinerlich. Das Gewittergrollen im Hintergrund unterstützt das zusätzlich.
Als zweites sich ganz weit abhebendes Stück könnte man „Poisoned Species“ ansehen. Es beginnt sehr seltsam mit sich windender und verdrehender Melodie, erhält mystischen Charakter durch etwas, dass wie ein von einem Synthesizer Chor produzierter klingt und wird durch anfangs gehauchten Gesang weiter unterstützt. Der darauf folgende normale Gesang jedoch zerstört das leider wieder, dennoch ist das Lied sehr vielfältig in sich und das macht es allemal aus.
Wie einige andere Stücke auch kann auch „Mindshadow“ mit einer eher außergewöhnlichen Melodieidee trotz einer gewissen Genretreue des Trios aufwarten, die einerseits verblüfft, aber andererseits durch die folgende Verwurstelung innerhalb des Liedes wieder einiges kaputt macht. Der normale kehlige Gesang Chucks passt einfach nicht zu den sonstigen Elementen wie der monotonen Synthiefläche mit Mystikanleihen durch raunende Stimme und synthetischem Chor.
„Carved in Sand“ geht es mit einer Mischung aus eher ruhigen bis sehr ruhigen Parts an. Klarer unverfälschter Gesang bildet eine Einheit mit deutlich akzentuierten Bässen und Melodiehöhepunkten – einfach, aber ganz schön.
Den wirklich krönenden Abschluss macht „Voices“. Hier zeigen die drei Künstler noch einmal ihre Vielfältigkeit. Eine recht dichte, angenehm poppige Melodie unterstützt eine ganz andere Art von Chucks Gesang. Dieser klingt fordernder, energischer. Ist es eine Akkustikgitarre, die im Refrain den ruhigen Hintergrund ausmacht? Interessante Mischung und damit ein würdiger Abschluss eines Albums.
Rein inhaltlich präsentieren uns November Process nichts Neues. Sowohl Probleme der Welt als auch eigene werden besprochen bzw. angerissen, aber eine Deutung der Texte schien mir zu aufwändig. Sie sind nicht kompliziert geschrieben, aber ihre Botschaft ist auf verschiedene Weise auslegbar. Davon soll sich jeder selbst ein Bild machen. Hier würde es ausarten.
November Process lassen hoffentlich erneut und möglichst schnell von sich hören. Die Einzelkomponenten ihrer Musik sind nicht neu da mittlerweile nur allzu üblich, aber im Sumpf dieses austauschbaren Ballermannelektros der jetzigen Zeit setzen sie sich einige Ebenen höher und zeigen, dass es auch anspruchsvoller geht. In diesem Sinne ist der Albentitel allemal gerechtfertigt.
Danke für diese kleine Erleuchtung und den Hoffnungsschimmer, den ihr an den Horizont gesetzt habt. Erstklassiges Debüt mit minimalen Schwächen!
Tracklist:
1. Stability
2. Romad
3. Deorganized Dreams
4. Infernal Desire
5. Decadence
6. Detachment
7. Poisoned Species
8. Mindshadow (V2)
9. Carved in Sand
10. Voices
Autor: Michael












