Die Ausnahme Künster Naarmann und Neiteler stehen mit dem Debüt „Schwester Thelesitis“ in den Startlöchern. Um einen genaueren Einblick wer N&N sind und was sie machen, gaben sie uns ein Interview.

Eniz:Hallo und herzlich Willkommen zu dieser kleinen Fragerunde. Ihr habt jetzt das Album „Schwester Thelesitis“ released und auch das Label „Einzeleinheit“ ist geboren. Was hat Euch dazu inspiriert?

Naarmann: Die Entstehungsgeschichte zu dem Projekt ist eigentlich ganz unterhaltsam. Vor ungefähr zwei Jahren traf ich meinen Arbeitskollegen Timo in einem Club in Münster. Timo hatte wohl schon einiges getrunken und stellte mich einfach einem Freund von ihm mit den Worten vor: „Das ist Robert! Ihr werdet jetzt zusammen Musik machen!“. Da konnte keiner widersprechen und damit war das Projekt geboren. Wenn Timo jetzt unsere Sachen hört, wünscht er sich vielleicht, er hätte das damals nicht getan…

Neiteler: Ja, so war das damals 1831.

Eniz: Hat man es schwer, gerade als Newcomer Zugang zu den Leuten zu finden?

Neiteler: Ich denke, dass es in diesem Genre leichter ist als in anderen, da es in der Natur der Sache experimenteller Musik liegt, sich für das Andere, Unbekanntere zu interessieren. Als Newcomer im Techno oder DnB oder weiß ich wo wird man es sicher schwerer haben. Die Zukunft wird uns zeigen, ob wir Zugang zu den Leuten finden.

Naarmann: Der große Vorteil in genau dem Segment, das wir beackern ist die Tatsache, dass man sich recht einfach eine eigene Nische schaffen kann – einen gänzlich unverkennbaren Stil. Ich denke, das unterscheidet uns von den Genres, die Robert gerade nannte, deren eigentliches Ziel ja in der Wiedererkennbarkeit und auch der Wiederholung und Variation liegt.

Andersherum ist uns natürlich schon klar, dass diese Musik nicht gerade für den Sonntagmorgenbrunch mit den Großeltern taugt uns als solches erst einmal geeignete Medien finden muss. Das Internet spielt in dieser Hinsicht eine wichtige und vereinfachende Funktion…

Eniz: Wie hat sonst die Hörerschaft auf das Album reagiert? Gab es da geteilte Meinungen drüber?

Naarmann: Die meisten Reaktionen waren recht positiv, sogar von Leuten, von denen wir das nicht erwartet hätten. Offensichtlich steckt in „Schwester Thelesitis“ eine ganze Menge mehr, als nur einfacher Industrial oder Noise. Und so war das ja auch geplant…

Neiteler: Wir hatten da natürlich auch noch die anderen Reaktionen. Gute Freunde von mir, die eigentlich Musik nur als Alltags-Berieselung benutzen (vielleicht zur Ablenkung vom Weltschmerz), bezichtigten uns nach dem Hörgenuss der Geisteskrankheit und des Wahns. Die Musik ist stinklangweilig, sagten sie. Für uns ist dies eine positive Sache, denn die Musik ist nicht für den Durchschnittshörer, sondern für Musikinteressierte. Wenn auch der Normal-Hörer unseren Sound mögen würde, hätten wir die Musik ja nach alten Harmoniemustern gebaut.

Eniz: Mir persönlich gefällt das Erstlingswerk sehr gut. Beim letzten Track „Märtyermaschine“ habt ihr wohl grad „Doom“ im Hintergrund gespielt, wie?

Naarmann: Ich glaube, dazu sollte Robert besser was sagen…

Neiteler: Der Track ist auch noch der älteste der Platte. Er schildert einen Tag beim zocken vor dem PC, wie früher in der Jugend, als man noch jung war, und Windows nicht immer wollte (also wie heute). Das Spiel beginnt, wie gewohnt, man zockt, hört den Spielsoundtrack, erlegt die ersten Monster, der Track beginnt, man gerät durchs zocken in diesen Ego Shooter Trance Zustand, dann verreckt das Programm, man regt sich über das Spiel auf, und haut auf der Tastatur rum.

Eniz: Was mich an dieser Musikrichtung immer sehr fasziniert, ist, dass die Künstler es verstehen, eine bedrohliche Atmosphäre zu erzeugen. Das ist auf Eurem Album ja quasi auch der Leitfaden… Wie kriegt man so was hin?

Neiteler: Faktoren sind sicherlich die Produktionsbedingungen, also Instrumente, Software, Samples, dann der zum Aufnahmetag vorhandene Gefühlszustand, und die eigene musikalische Fähigkeit. Warum die Musik jetzt so geworden ist kann ich auch nicht sagen, es ist oft eine Reihe von Zufällen, die düstere Augenblicke erzeugen.

Naarmann: Unterdrückte Gefühle und Unausweichlichkeit sind die beiden zentralen Themen auf dem Album. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich alleine schon konzeptionell eine gewisse negative Tendenz eingeschlichen hat. Ebenso wichtig ist sicherlich auch das musikalische Ausgangsmaterial und die Kompositionstechnik – das erste beruht meist auf recht industriell anmutenden Sounds (selbst die Flöten auf „Der Schöne Jüngling“ sind ja leicht durch den Distortion gedreht) und der zweite eher visuell, also weniger in einem typischen Bandkontext, was einem „natürlichen“ Klang ebenfalls im Weg steht. Darüber hinaus erschien es uns für dieses Album als wichtig, jeglichen überflüssigen Ballast über Bord zu werfen, die Musik atmen zu lassen und Wunden in ihrer Struktur aufzureißen – und dadurch öffnen sich eben jene Räume, die Du und andere Hörer auch als bedrohlich empfinden.

Eniz: Was sind Eure persönlichen Favoriten? Und mit was könnt Ihr absolut nichts anfangen?

Naarmann: Von der aktuellen Musik begeistert mich derzeit immer noch einiges aus dem Glitch und Clicks n Cuts Bereich – das ist für mich die einzige wahrhaft neue Musikrichtung der letzten paar Jahre. Ich denke aber, dass man auf „Schwester Thelesitis“ recht gut heraushören kann, dass meine Wurzeln eher bei den 70’ern, bei Klaus Schulze und Tangerine Dream liegen. Die Chorgesänge auf „Genuss der Sünde“ sind meine persönliche Hommage an Schulze und vor allem an „Moondawn“.

Neiteler: Ich gebe mir eigentlich alles, und denke auch das es eigentlich wenig schlechte Musik gibt. Von daher läuft bei mir von Asmus Tietchens, über Johnny Cash und Roni Size bis hin zu Funker Vogt und MOS alles.

Naarmann: Stimmt, Roni Size hatte ich ganz vergessen…

Eniz: Und was bringt Euch musikalisch auf die Palme?

Neiteler: Meine Mitbewohnerinnen.

Naarmann: Ich könnte es mir jetzt einfach machen und Volksmusik und Schlager nennen, oder die Superstars, die Deutschland angeblich sucht. Leider ist es aber eine Tatsache, dass es Belangloses und Uninspiriertes in jedem Genre gibt. Natürlich ist Alexander ganz, ganz schlimm, aber ich habe auch schon Cold Meat-Platten gehört, die lediglich Klischees bedienen und nichts anderes leisten, als die Sinne zu betäuben. Und Musik, die man „gut im Hintergrund“ hören kann, muss es ebenfalls nicht sein.

Eniz: Eure Website gibt recht wenig Informationen über Euch und das Projekt. Könnt Ihr Euch in eigenen Worten beschreiben, dass man einen ungefähren Umriss erhält, wer Ihr eigentlich seid?

Naarmann: Es steckt mehr Absicht als Faulheit dahinter, dass wir uns etwas bedeckt halten, was unsere persönlichen Hintergründe angeht. Dass deckt sich auch gut mit der Politik des Labels, bei der die Musik eindeutig im Vordergrund stehen soll. Jedes Lüften der Schleiers nimmt dem Hörer ein wenig die Gelegenheit, die Kompositionen als solche wahrzunehmen und in die Klänge ohne Vorurteile einzutauchen. Und es beugt Enttäuschungen vor: Habe gerade mal wieder eine ziemlich spannende Metal-Band entdeckt (Wasteform), bei der ich doch ziemlich geschockt war, als ich feststellen musste, dass Sie recht feurige und stumpfe Befürworter der amerikanischen Kriegspolitik waren. Von jemandem wie Burzum mal ganz zu schweigen…

Neiteler: Die Musik steht klar im Vordergrund, aber für dich machen wir eine Ausnahme und werden unser Innerstes nach Außen kehren. Ich bin jetzt noch 1 Jahr Student, und wohne hier in Münster, wer ich eigentlich wirklich bin, weiß ich selbst auch nicht so, frag doch den Naarmann. Ansonsten gehöre ich eigentlich keiner Szene an, und gehe auf Partys aller Musiken dieser Welt….. und sonst immer schön Radfahren…. ist eigentlich schwer, sich selbst so in ein paar Sätzen zu beschreiben.

Naarmann: Robert ist ein verkanntes Genie. Und er müsste dringend mal wieder zum Frisör.

Eniz: Im Booklet bezeichnet Ihr Eure Musik als „Schnittstellenmusik“ und das Konzept als „Die Geschichte des Sündenfalls von Schwester Thelestis“. Wer ist Schwester Thelestis?

Neiteler: Das weiß ich auch nicht, ich halte mich aus den Dingen Track Benennung, Verpackung und Website raus, ich stelle nur die Musik her. Da ist der Herr Naarman verantwortlich.

Naarmann: Da muss ich ein wenig weiter ausholen. Ich fand den Begriff Konzeptalbum“ noch nie ein Schimpfwort – ganz im Gegenteil kann ein durch die Scheibe gewobener roter Faden in verschiedener Hinsicht zu ganz neuen Hörerlebnissen führen. Deswegen war es für mich von Anfang an klar, dass hinter unseren Alben stets eine erkennbare Geschichte oder zumindest die Ahnung eines inneren Zusammenhangs besteht.

Schwester Thelesitis ist eine gegen ihren Willen in einem Kloster festgehaltene Ordensschwester. Die Welt, die sie umgibt, ist nicht die ihre, die Regeln engen sie ein und sie kann die Schuld des Vergehens, welches sie hierher geführt hat, nie mehr gut machen. Doch sie hält sich an die ihr auferlegten Gebote, so gut es geht, bis zu dem Tag, da sie erneut mit der Verführung konfrontiert wird. Die religiöse Komponente ist dabei gar nicht so entscheidend, wichtiger ist die bereits genannte Unausweichlichkeit, und eine Frage, die mich schon immer fasziniert hat: Was macht man, wenn man die Wahl aus zwei Übeln hat? Spielen Begriffe wie Sünde und Moral in einer solchen Situation überhaupt noch eine Rolle?

Eniz: Ihr zwei habt vorher in verschiedenen Projekten mitgemischt. Robert Neiteler „Strom“ und Naarmann „Tribute“. Verfolgt Ihr das weiterhin oder konzentriert Ihr Euch nun völlig auf das Label?

Neiteler: Meine alten Sachen sind tot, vielleicht werd ich sie irgendwann mal vom Friedhof holen und remixen, aber mit dem Projekt von Damals ist abgeschlossen.

Naarmann: „Tribute“ war ein Tape-Projekt in Sachen Klangforschung. Ich habe da viel mit Umkehreffekten und Geschwindigkeitsmanipulation gearbeitet und Klänge aus meiner direkten Umgebung verwendet. Das war zu einer Zeit, als John Cage eine recht wichtige Rolle für mich spielte und ich den Zufall als Kompositionsprinzip entdeckte. Im Endeffekt war die Angelegenheit aber nicht sehr befriedigend: Die Geschichte hinter solchen Projekten ist regelmäßig interessanter als die daraus resultierende Musik und wenn ich ehrlich bin, hat die Sache mit Innovation oder Fortschritt rein gar nichts zu tun. Interessant wird es wiederum, wenn man die klanglichen Räume mit musikalischem Mobiliar füllt – und in die Richtung möchte ich, was meine Solo-Sachen angeht, eher gehen. Wie auch immer: Naarmann und Neiteler haben im Moment Priorität und es wäre schön, wenn wir die Angelegenheit in Zukunft mal auf die Bühne oder in Zusammenhang mit Ausstellungen oder Installationen bringen könnten.

Eniz: Wie ich gesehen habe, seid zur Zeit nur Ihr zwei die Künstler die auf dem Label vertreten seid… Gibt’s in der Hinsicht, dass noch andere Künstler folgen, Pläne?

Naarmann: Es sind einige interessante Releases geplant, alles Musik, die wir uns auch selbst gerne anhören würden. Sehr spannend wird die Ende des Jahres erscheinende Platte von DENSE VISION SHRINE vom grandiosen Karsten Hamre, ein ganz finstere Brocken: Ein einziger Track, 78 Minuten ambiente Klanglandschaften. Und für 2005 sind auch schon einige spannende Sachen unterwegs. Und natürlich das zweite Naarmann und Neiteler Album, das schon komplett fertig ist und mit dem wir wirklich extrem zufrieden sind.

Eniz: Ich sehe, Ihr habt das Album im Frühjahr 2003 gemixt und es kam erst kürzlich raus. Wie kam es, dass ein Jahr verstrichen ist?

Naarmann: Die Internetseite www.einzeleinheit.de brauchte einfach etwas länger, um realisiert zu werden. Für uns war das jetzt nicht das riesige Problem: Wir haben einfach weiter Musik gemacht. Und als ich kürzlich noch mal die Scheibe komplett durchgehört habe, wollte ich immer noch nichts daran ändern. Das war ein gutes Zeichen.

Neiteler: Der Naarman ist halt ne lahme Sau, und ich hab in der Zeit auch noch nen Auslandsemester gemacht, da lag die Sache eher auf Eis.

Eniz: Was wäre Euer nächstes Nahziel?

Naarmann: Mit dieser Scheibe möglichst viele Leute erreichen. „Schwester Thelesitis“ ist keine einfache Kost, aber ein Album, das einen bei jedem Hören auf eine neue Reise nimmt. Die ersten Reaktionen von Seiten der Kritik scheinen das auch zu bestätigen. Wenn wir einige Leute auf den Trip einladen könnten, würde uns das sehr freuen. Ansonsten: Unser zweites Album!

Neiteler: Für mich ist da der Aufbau eines Live Sets zu nennen, da die Musik bisher noch nicht auf der Bühne reproduzierbar ist, wir aber nach Möglichkeiten einer Live Darstellung streben. Ich werde da im nächsten halben Jahr dran arbeiten . Ansonsten sind da noch unsere Solo Projekte und ein Drone -Projekt mit einem Hiphop Künstler.

Eniz: Ich bedanke mich herzlichst für dieses kleine Interview und wünsche Euch einen guten Start.

Naarmann und Neiteler: Dank Dir!

Autor: Eniz

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