Die Nachricht, dass sich eine Gothic-Metal Band von ihrer weiblichen Hauptdarstellerin trennt, ist heutzutage ja eigentlich keine allzu grosse Sensationsmeldung mehr. Spätestens nachdem sich die Urväter des Beauty and the Beast Prinzips, Theatre of Tragedy, gewagt hatten, Engelsstimmchen Liv Kristin aus der Band zu kicken, hätte eigentlich klar sein müssen, dass dieses Schicksal jederzeit und ganz unverhofft auch jede andere Frontfrau treffen könnte.
Doch als dann im Herbst 2005 bekannt wurde, dass ausgerechnet Nightwish Aushängeschild Tarja Turunen unsanft von ihren ehemaligen Kollegen aus der Band befördert worden war, hielt die Welt für einen Augenblick den Atem an. Der Schock saß tief, denn damit hatte niemand gerechnet. Zu gross war einfach der Name Turunen, ihr Bild in der Öffentlichkeit und nicht zuletzt auch ihre einmalige Stimme.
Zwei lange Jahre sind ins Land gestrichen, die genügend Zeit für Spekulationen, Unkenrufe und Todesurteile geboten haben. Doch Totgesagte leben bekanntermaßen am längsten. Nightwish sind zurück – mit einer neuen Sängerin und einem gigantischen Album, dass nicht nur dort weitermacht, wo „Once“ aufgehört hat, sondern noch einiges mehr zu bieten hat.
Bereits der erste Song „Poet and the pendulum“ macht dies mehr als eindrucksvoll deutlich. Der Opener, mit der beachtlichen Länge von fast 14 Minuten unfasst einfach alles was Nightwish zu Nightwish macht. Was leise mit einem athmosphärischen Intro beginnt, entwickelt sich Stück für Stück zu einem bombastischen und dynamischen Opus, welches von sanft bis hinzu brachial das komplette Spektrum der Holopain´schen Schaffenskraft wiederspiegelt. Treibende Melodien, ruhige Passagen, ein grosses Orchester, harte Gitarren, Tempowechsel und insgesamt 5 Breaks sorgen für die nötige Dramaturgie und lassen fast in Vergessenheit geraten, dass es hier ja auch noch eine neue Sängerin zu entdecken gibt.
Diese zeigt sich übrigens nicht für den Sopran, den wir am Anfang des Stückes zu Gehör bekommen verantwortlich. Nein, Anette Olzens Einsatz beginnt erst etwas später, weiss sich dann aber so perfekt in das musikalische Gesamtkonzept einzufügen, dass man fast den Eindruck bekommen könnte, Anette hätte nie etwas anderes gemacht, als in dieser Band zu singen.
Als wahrer Geniestreich entpuppt sich, dass Tuomas Holopainen sich mit Anette Olzen nicht für eine weitere Opernstimme, sprich zweite Tarja Turunen entschieden hat. So gross die Schatten der Vergangenheit auch sein mögen, gegen die sich die neue Sängerin nun behaupten muss, der direkte Vergleich mit ihrer Vorgängerin bleibt ihr erspart, da beide Damen sich gesanglich auf grundverschiedenen Terrains bewegen. Anette gibt wirklich alles und rockt was das Zeug hält. Ihre Stimme klingt angenehm frisch und scheint, während Tarjas Gesang stets einen Kontrast zur Instrumentierung gebildet hat, beinahe mit der Musik zu verschmelzen. Beide Konstellationen haben, bzw. hatten ihren Charme. Deshalb wird die Frage nach der besseren Sängerin nie zufriedenstellend beantwortet werden können. Anettes Stimme klingt nicht besser oder schlechter als Tarjas, sie klingt schlichtweg anders.
Weiter nach vorne geht es dann mit dem zweiten Song „Bye bye beautiful“. Von wem sich die Finnen hier verabschieden wollen, es dürfte auf der Hand liegen. Aufbau und Athmosphäre dieses Midtempo-Krachers, schlagen jedenfalls in eine ähnliche Kerbe, wie wir sie bereits von „Wish i had an angel“ her kennen.
Auch, oder vielleicht gerade weil die Ähnlichkeit wirklich frappierend ist, gehört „Bye bye beautiful“ mit zu den stärksten Songs dieses Albums.
Den größten Unterschied stellen im Vergleich wohl noch die jeweiligen Videos zu den Songs dar. Die Damen in Nightwishs aktuellem Clip sind definitiv um einiges attraktiver, als es die monströsen Nebendarsteller in dem Video zu „Wish i had an angel“ waren.
Dass Videoclips aus dem Hause Nighwish auch im Jahre 2007 noch immer für grosses Kino stehen, zeigte auch schon die visuelle Umsetzung von „Amaranth“. Der Song selbst klingt frisch und ziemlich poppig. Eine schöne Melodie und ein starker Chorus machen „Amaranth“ zum eingängisten Song, den das neue Album zu bieten hat. Böse Zungen würden es wohl Mainstreamtauglichkeit nennen. Doch diesen Vorwurf müssen sich die Finnen nicht machen lassen. Schon der nächste Song legt deutich an Rockpotential zu, bis sich schliesslich mit „Master Passion Greed“ der bisher härteste Song der Bandgeschichte offenbart. Trotz der Aggressivität fehlt es hier nicht an Tiefe und Athmosphäre, Marco Hietala sollte ruhig öfters ins Mikrofon schreien dürfen. Nach diesem Adrenalinschub kommt das ruhige „Eva“ genau richtig. Die klassiche Ballade, mit einer schönen, traurigen Melodie und Story läd zum Träumen ein, bleibt dabei aber sehr zurückhaltend. Auf allzuviel Herzschmerz und Kitsch wurde hier löblicherweise verzichtet.
Eine grosse Überraschung birgt sich hinter dem von Marco Hietala geschriebenen „The Islander“. Der keltisch angehauchte Folklore Song, erschafft mit akustischen Instrumenten eingespielt, eine wunderschöne Lagerfeuerromatik. Absolut überzeugen kann auch Markos einfühlsamer Gesang, der perfekt von Anette ergänzt wird. Ein Duett gemeinsam mit Tarja wäre bei diesem Lied undenkbar. Einen gelungenen Übergang bildet das anschliessende Instrumental Stück „Last of the wilds“. Das Lagerfeuer brennt hier noch ein wenig weiter, doch jetzt ist Schluss mit kuscheln. Jetzt wird geschunkelt und getanzt. In der Mitte des Songs kommt als kleiner Gruß an die Heimat, das finnische Natinalinstrument namens Kantele zum Einsatz.
Angst vor Experimenten kann man den Finnen, also beim besten Willen nicht unterstellen. Neben Altbewährtem setzen Tuomas und Co. immer wieder auf neue Elemente und zeigen, dass Nightwish neben Symphonic-Metal und Popsongs, auch auf anderen musikalischen Gebieten, eine mehr als gute Figur machen.
„Dark Passion Play“ endet ähnlich wie es begonnen hat. „Medaows of heaven“ kommt zwar nur auf die halbe Spielzeit des Openers, klingt aber dadurch nicht weniger pompös. Ruhig baut sich dieser Song auf, um schliesslich mit orchestraler Unterstützung über sich hinaus zu wachsen. Überraschend mag der Einsatz eines Gospelchors klingen, aber es ist genau diese Vielschichtigkeit, die nicht nur den Charme dieses gelungenen Abschlusses, sondern des ganzen Albums ausmacht.
Fazit: Es heisst „Dark Passion Play“ sei mit einem Budget von einer halben Million Euro das teuerste Album der finnischen Musikgeschichte. Nach 13 Songs mit einer Gesamtspielzeit von fast 76 Minuten steht fest: Diese Investition hat sich definitiv gelohnt.
Mit Dark Passion Play haben Nightwish den Beweis geliefert, dass eine gute Band nicht von ihrem Aushängeschild abhängig ist. Eine gut Band steht und fällt nicht mit ihrer Stimme, sondern mit ihrem Songwriter. Und was diese Qualität betrifft, steht Tuomas Holopainen auch im Jahre 1 nach Tarja Turunen, über jeden Zweifel erhaben.
Ob mit oder ohne Tarja, nun ist es endlich gewiss: Nightwish werden immer Nightwish bleiben!
„Dark Passion Play“ ist als Einzel- oder Doppel-CD erhältlich. Bei der Doppel-CD Version enthält die zweite CD das komplette Album nochmal als Instrumentalversion.












