Die Matrix in Bochum zählt nicht unbedingt zu den vorteilhaftesten Örtlichkeiten für einen gelungenen Konzertabend. Die dort vorzufindende Halle ist einfach viel zu schmal, viel zu lang und auch noch viel zu schlecht belüftet. Wer einmal das Vergnügen hatte eine Veranstaltung als Besucher an diesem Ort erleben zu dürfen wird also nicht zwangsläufig zum Wiederholungstäter werden. Und dennoch verschlägt es immer wieder auch hochkarätige Musikacts in das ehemalige Firmengebäude aus dem Jahre 1806.
So sollte es auch an diesem Montag, den 22.09.08 sein. Diesmal waren es die Industrial-Rocker von Eisbrecher aus dem schönen Freistaat Bayern, die sich aufgemacht hatten den Ruhrpott zu Brei zu rocken. Mit im Gepäck hatten Alexx Wesselsky und Co. die Senkrechtstarter aus dem letzten Jahr Jesus on Extasy, für die der Auftritt in Bochum quasi eine Art Heimspiel war.
Trotz des etwas besucherunfreundlichen Rufes der Matrix sprach man an diesem Abend von gut 500 bis 600 verkauften Eintrittskarten und während man kurz nachdem die Pforten geöffnet worden waren versuchte, sich den Weg nach vorne Richtung Bühne zu bahnen, um einen möglichst guten Sichtplatz zu ergattern, wollte man dieser Aussage auch gerne Glauben schenken.
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Überpünktlich, also sogar ein paar Minuten vor 20.00 Uhr, liefen Jesus on Extasy zu den ersten Klängen des Intros auf der Bühne ein. Manch einer im Publikum schien sichtlich überrascht, dass die selbsternannten Revolutionäre des Industrialgenres an diesem Abend nur zu viert auf der Bühne standen. Doch an diesen Anblick muss man sich wohl vorerst einfach gewöhnen. Auf ihrer offiziellen mySpace Präsenz hatten Jesus on Extasy es ja bereits vor ein paar Tage angekündigt gehabt – fortan wird die Band ohne Gitarristen Alicia Vayne, von der man sich kurzfristig getrennt hatte, weiter machen müssen. Doch auch ohne zweite Gitarre im Gepäck, das Vierergespann zog sein Ding mehr als souverän durch. Und ehrlicherweise muss man sagen, sobald sich das Auge an die neue Bühnenaufteilung gewöhnt hatte – Ophelia stand nun rechts vorne mit ihrem Keyboard auf dem ehemaligen Stammplatz der Ex-Gitarristen – fiel es eigentlich überhaupt nicht mehr ins Gewicht, ob Alicia nun dabei war, oder eben auch nicht. Inklusive Intro sollten Jesus on Extasy an diesem Abend 10 Songs performen und diese entpuppten sich rasch als eine gelungene und vorallem ausgewogene Mischung aus den beiden bisher veröffentlichten Alben. Während Songs wie „Assasinate me“, „Neochrome“ und „Alone“ zu den allseits beliebten Klassikern zählten, gehörten „Beloved enemy“, „Change The World“ und die Huldigung an das eigene Fanforum „Church of Extasy“ zu den gut gewählten Repräsentanten des neuen Silberlings „Beloved enemy“.
Während Keyboarderin Ophelia nicht nur ihre Hüften, sondern auch immer wieder ihre stylishen Dreadlocks hin und her schwang, Gitarrist Chai, wenn er gerade mal nicht die Saiten anschlug, fast tranceartig mit der Musik zu verschmelzen schien und Drummer BJ im Hintergrund wie wild aufs Schlagzeug donnerte, war es vorallem Sänger Dorian, dem die Herzen der zumeist weiblichen Fans zuflogen. Die Aufforderung sich auszuziehen wurde von dem kleinen, aber quirligen Sänger zwar zunächst nur mit der Frage nach dem Ausweis quittiert. Aber zum Ende des Sets hatte Dorian dann doch noch Erbarmen mit seinen sehnsüchtigen Fans und entledigte sich zumindest seiner Jacke, um den Blick auf seinen zweifelsfrei ziemlich durchtrainierten und nett anzusehenden Oberkörper frei zu geben.
Insgesamt lieferten Jesus on Extasy einen mehr als überzeugenden Auftritt ab, der auch gebührend vom anwesenden Publikum honoriert wurde. Der Bühnenzauber aus dem Ruhrpott endete schliesslich um Punkt 20.30 Uhr, nachdem sich die Band mit dem Donnerschlag namens „Neochrome“ verabschiedet hatte und das Warten auf den eigentlichen Headliner dieses Abends beginnen konnte.
Dass Überbrückungsmusik in Umbaupausen nicht zwangsläufig hitverdächtig sein muss, ist kein Geheimnis. Doch die hier aus den Boxen dröhnende Compilation von Serien- und Filmjingles a la Dallas und Konsorten erwies sich als besonders schmerzhaft im Gehörgang. Selbst dem gemeinschaftlichen Erraten der jeweiligen Serientitel wurden die wartenden Fans schnell überdrüssig, zumal die jüngeren Besucher bei diesem Spiel ganz klar im Nachteil waren.
Um 21.00 Uhr machte sich die erste deutlich spürbare Welle der Unruhe im Publikum breit, doch es sollte noch unendliche 10 Minuten Dauern bis Alexx samt Band endlich die Bühne stürmten. Umso dankbarer wurden die Musiker von den Fans empfangen und umso frenetischer direkt vom ersten Augenblick an gefeiert. Dass hierbei Tempo und Härtegrad im Vergleich zur Vorband doch um einiges angezogen werden sollten, offenbarte sich schon beim ersten Song der aktuellen Singleauskopplung „Kann denn Liebe Sünde sein?“. So wunderte es kaum, dass neben jeder Menge Jubel und den ersten zaghaften „Auszieh“-Rufen, auch die ersten Headbanger nicht lange auf sich warten liessen. Neben Auzieh-Bitten muss sich ein Sänger, der nebenberuflich eine Autosendung im Kabelfernesehen moderiert, natürlich auch noch ganz anderen Publikumswünschen stellen. Während andere Musiker für gewöhnlich mit dem Wunsch nach einem Kind konfrontriert werden, lautet bei einem Eisbrecher Konzert der einstimmige Slogan „Checker – Ich will ein Auto von Dir“. Aber Alex Wesselsky bewies an dieser Stelle Humor und stellte ein für alle mal klar, dass es sich hierbei nur um eine Verwechslung handeln kann und nicht jeder gutaussehende Mann mit Glatze, zwangsläufig dieser seltsame Typ aus dem Fernsehen sein muss.
Generell ist es unglaublich faszinierend wie perfekt diese Band den etwas schwierigen Spagat zwischen martialischem Auftreten und aggressivem Sound auf der einen Seite und dann wieder humoristischen Anspielungen und kleinen Showeinlagen beherrscht, ohne dabei auch nur ein kleines Stück an Glaubhaftigkeit zu verlieren. So waren es nicht nur die fantastisch gespielten Klassiker und Dauerbrenner wie „Vergissmeinnicht“, oder „Schwarze Witwe“ die den Saal zum Kochen brachten, sondern auch teilweise etwas schräge Choreographien, die natürlich nicht bei Detlef Dee Soost geklaut wurden, oder eine rührige, akustische Interpretation von Howard Carpendales „Ti amo“, die das Eis selbst bei dem zurückhaltensten Konzertbesucher im wahrsten Sinne des Wortes brachen.
Bei soviel Enthusiasmus stieg natürlich auch die Temperatur in der Halle ins unermessliche. Doch Alexx sei Dank wanderte zumindest die eine oder andere Mineralwasserflasche durch die ersten Reihen und somit wurde vermutlich Schlimmeres verhindert. Der charismatische Sänger selbst entschloss sich nach einigem gespielten Zögern dem Hitzeproblem dann doch mit der Entblößung des Oberkörpers entgegen zu wirken. Und obwohl er angab von diesem Zeitpunkt an nur noch mit eingezogenem Bauch singen zu können, tat diese Entscheidung dem grimmigen Gesang natürlich absolut keinen Abbruch.
Die Zahl der Anekdoten und kleinen Highlights die man von einem Eisbrecher Konzert mit nach Hause nimmt, sind zu zahlreich um sie alle aufzuzählen. Zwar kann man sich nicht immer mit allem was Alexx von sich gibt zu hundert Prozent identifizieren. So teilte z.B. das etwas provokante Anzünden einer Zigarette, mit einem gewaltigen Seitenhieb auf das Thema „Rauchverbot“ und der Frage was man sich in Deutschland noch so alles gefallen lassen müsse, die Anwesenden in zwei kontroverse Lager und wurde nur mit mässigem Applaus entlohnt. Doch im Großen und Ganzen funktionierte die Kommunikation zwischen Musiker und Fans wirklich perfekt. Dies zeigte sich insbesondere bei der Performance zu „Miststück“, die für viele wohl zum absoluten Highlight dieses Abends gezählt haben dürfte. Hierfür stieg Sänger Alexx eigens von der Bühne in den Graben um den Fans das Mikrofon zu reichen und diese immer wieder lauthals „Miststück“ mitsingen und -schreien zu lassen.
Eisbrecher gaben an diesem Abend insgesamt 20 Songs zum Besten und gewährten damit einen guten Einblick in ihre inzwischen bereits 5 Jahre andauernde Bandgeschichte.
Nach zwei Zugaben hieß es um 22.45 Uhr endgültig Abschied nehmen und Eisbrecher entließen ein mehr als zufriedenes Publikum von der Hitze der Matrix in die angenehme Kühle eines frischen Montag Abends, die einen draußen vor den Toren erwartete.
Jesus on Extasy – Setlist:
01. Intro
02. Drowning
03. Beloved Enemy
04. Change The World
05. Alone
06. Assassinate Me
07. Puppet
08. Lies
09. Church of Extasy
10. Neochrome
Eisbrecher – Setlist:
01. Intro
02. Kann denn Liebe Sünde sein
03. Angst
04. Antikörper
05. Phosphor
06. Willkommen im Nichts
07. Herzdieb
08. Leider
09. Alkohol
10. Mein Blut
11. Vergissmeinnicht
12. Zu Sterben
13. Schwarze Witwe
14. Heilig
15. Zeichen der Venus
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16. This Is Deutsch
17. Ohne Dich
18. Miststück
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19. Ti amo
20. Freiflug












