Der 23. August 2008 war ein schwarzer Tag für viele Big Boy Fans. Denn was als Headlinershow auf einem Musikfestival in Essen geplant war, sollte sich zum absoluten Supergau entwickeln. Organisatorische Schwierigkeiten seiten des Veranstalters hatten an diesem Abend zur Folge, dass der geplante Auftritt nicht nur immer weiter und immer weiter nach hinten verlegt wurde, sondern unfassbarer Weise schlussendlich ganz ausfallen musste. Während sich die Veranstalter zu keiner Stellungnahme, oder gar einer Entschuldigung an die wartenden, teilweise von weit hergereisten Fans, verpflichtet fühlten, übernahmen die Jungs von Big Boy an diesem Abend die Rolle der Seelentröster und trockneten nicht wenige Tränen.

Aber Big Boy lieben ihre Fans und deshalb sind ihnen getrocknete Tränen nicht genug. Ein Ersatztermin musste her und das möglichst schnell. Und so ergab es sich, dass sich die „großen Jungs“ kurzerhand in die bestehende Tour von Private Line und Sister mit einklinkten und für die erleichterten Fans nicht nur einen, sondern gleich zwei Ersatztermine im schönen NRW aus dem Hut zauberten.

Da auch ich an besagtem Unglückstag, zwar nicht zu den weinenden, aber trotzdem zu den vergeblich wartenden Festivalbesuchern zählte, machte ich mich also nun am 05. September auf nach Bochum, um zum ersten mal die Band live spielen zu sehen, über die ich schon so viel Wiedersprüchliches gehört und gelesen hatte.

Bereits am späten Nachmittag tummeln sich verdächtig viele schwarz gekleidete Gestalten in der Nähe des Riff Clubs in Bochum herum. Während die einen noch das eine oder andere Big Boy Plakat aufhängen, kann man kurze Zeit später andere Personen, zumeist weiblicher Natur, beobachten, die ein solches wieder fein säuberlich von der Wand entfernen, liebevoll zummenrollen und in der Handtasche verschwinden lassen.

Die wartenden Fans sind also wunderbar beschäftigt. So vergeht die Zeit wie im Fluge und mit nahendem Einlass sammelt sich eine immer größer werdende Menge ebenfalls hauptsächlich weiblicher und noch recht jugendlich wirkender KonzertbesucherInnen an.

Nach einer reibungslos funktionierenden Einlasskontrolle füllt sich der Konzertsaal des Riffs zusehends mit Besuchern und pünktlich zu Konzertbeginn haben sich dann tatsächlich auch noch genügend ältere Semester und einige männliche Gäste unter den Pulk gemischt, um Altersdurchschnitt und den Frauen- bzw. Mädchenüberschuss zumindest ein wenig auszugleichen.

Als erste Band des Abends betreten gegen 19.40 Uhr Sister die Bühne. Die „Schwestern“ aus Schweden, die sich spätestens auf den zweiten Blick als waschechte Brüder entpuppen, schienen für diesen Auftritt direkt aus einer Zeitmaschine gestiegen und aus den frühen 90er Jahren zu uns gekommen zu sein.

Zumindest bei den älteren Besuchern im Publikum dürften die „Guns´n´Roses-Gedenk-Frisuren“ der Musiker einen gewissen Grad an Sentimentalität ausgelöst haben und auch ich werde am nächsten Tag den zaghaften Wunsch verspüren, bei Gelegenheit doch mal wieder meine alte Plattensammlung aus dem Keller zu holen und zu entstauben.

Doch zurück ins Jahr 2008. Sister gehen direkt in die Vollen und rocken die Bühne mit ihrer Mischung aus Glamrock und einer Prise Punkattitüde. Den oftmals etwas undankbaren Job, einen Konzertabend eröffnen zu müssen, meistern die 4 ambitionierten Musiker nahezu perfekt. Auch wenn stellenweise die Publikumsmotivation nicht so hundertprozentig gelingen will, im Großen und Ganzen ernten Sister für ihre Show, den Applaus und Zuspruch, den sie auch verdienen. Etwas befremdlich wirkt vielleicht, die Tatsache, dass Sänger Jamie während einer knappen halben Stunde Bühnenpräsenz, das Wort „Fuck“ annähernd so oft in den Mund nimmt, wie Ozzy Osbourne es in einer kompletten Staffel seiner Reality-Doku getan hat. Aber spätestens zum Ende des Auftritts hat man sich seinem Schicksal ergeben und wundert sich eigentlich fast gar nicht mehr, wenn sich die Band von einem Publikum, das wie erwähnt überwiegend aus recht jungen Mädchen besteht, mit den Worten „Goodbye Motherfuckers“ verabschiedet.

Auf die „kleine Schwester“ aus Schweden folgt der „grosse Bruder“. Als nach einer Umbaupause das Licht erlischt und ein kurzer Moment der Stille erfolgt, wird sehr schnell klar für welche Band das Herz des Publikums in Wirklichkeit schlägt. Denn der Moment der Stille ist wirklich ein sehr Kurzer! Noch bevor das Intro beginnt und Big Boy nacheinander die Bühne entern, sind die Fans einfach nicht mehr zu halten. Genau wie Sister geben auch Big Boy vom ersten Moment an Alles. Der gravierende Unterschied – Inszenierung und Musik überzeugen hierbei einfach um Längen mehr als die ihrer Vorgänger.

Big Boy muss man als Gesamtkunstwerk betrachten. Teilweise doch etwas aussergwöhnliche, aber nicht minder stylische Bühnenoutfits und ein perfekt sitzendes Make-Up zählen hier genauso zur Show, wie die eigentliche Musik und ein gewisser Entertainmentfaktor in Form von bisweilen etwas schrägen Ansagen und dem Ausschank von Wodka in den ersten Reihen. Doch darf man nicht dem Trugschluss verfallen, dass diese Art der Selbstdarstellung von musikalischen Schwächen ablenken soll. Bereits mit ihrem Debütalbum haben Big Boy eindrucksvoll bewiesen, dass sie grossartige Songs mit absolutem Ohrwum- und Feierpotential abliefern können. Und gefeiert wurden die Jungs an diesem Abend auch zu genüge und das nicht nur zu altbekanntem, sondern auch zu neuem, bislang unveröffentlichtem Material. Immer wieder nachzufragen, welche Band vom Publikum, den meisten Applaus einheimsen könne – zur Wahl stehen neben Big Boy selbst, Sister, Privat Line, Die Dudelzwerge, und der selbsternannte Erzfeind Revolverheld – wäre eigentlich gar nicht von Nöten. Doch gönnen wir den charmanten Glamrockern ruhig ein wenig „Fishing for Compliments“, passt es doch einfach zu perfekt zu ihrem herrlich narzisstischem Image.

Während der beliebte und von Myspace bekannte Song „One good reason“ zu den grossen Momenten des Abend gehört und frenetisch bejubelt wird, sorgt kurze Zeit später der Ausfall des Mikrofons für ein bisschen Unruhe unter den Fans. Aber Big Boy bleiben souverän, ein halber Song ohne Gesang ist schnell überstanden und das Programm geht nahtlos weiter. Auf eine vorher angedachte Breakdance-Einlage, ein Thema, das bei Big Boy zur Zeit offensichtlich gross geschrieben wird, müssen wir an diesem Abend auf der Bühne leider verzichten. Selbstverständlich aber nicht auf den absoluten Höhepunkt eines jeden Big Boy Konzertes. Diesen bildet der wohl grösste Song, den wir zumindest bisher aus dem Hause dieser Band, zu Gehör bekommen haben. Die Lobeshymne auf die eigene Person „Hail The Big Boy“, die schon in den eigenen vier Wänden gespielt keine Gefangenen macht, entfaltet live performt eine schier unglaublich enthusiastische Athmosphäre, der man sich beim besten Willen nicht entziehen kann. Doch wenn es am Schönsten ist, soll man bekanntermassen am besten Abschied nehmen. Und aus diesem Grund bildet „Hail The Big Boy“ wohl auch den Abschluss eines jeden Big Boy Konzerts und so ist es dann auch diesesmal. Unter grossem Applaus verlassen Big Boy, A.K., Gabor und Happy nach dem Song die Bühne und hinterlassen ein absolut begeistertes Publikum. Big Boy haben an diesem Abend ihr Klassenziel mit Bravour erreicht.

Fast ist man ein wenig traurig, sich an dieser Stelle schon von Big Boy verabschieden zu müssen, aber der Abend ist ja noch längst nicht vorbei. Denn schliesslich steht noch der Auftritt, der eigentlichen Headliner Private Line aus.

Es ist bereits nach 21.00 Uhr als Privat Line die Bühne betreten. Die Stimmung im Publikum ist gut und so werden die Finnen auch mit grossem Applaus begrüßt. Auch wenn Private Line der eigentliche Headliner dieser Veranstaltung sind und wie alle Bands an diesem Abend eine gute Show abliefern, können sie mit dieser die Feierlaune unter den Fans nicht mehr steigern, dafür aber konsequent auf dem selben Level halten, wie wir sie zuvor noch bei Big Boy erlebt haben. Auch Private Line müssen sich mit den Wiedrigkeiten der Tontechnik rumschlagen. So soll auch hier das Mikrofon ausfallen, doch hier führt diese Panne sogar zu einer kleinen Unterbrechung des Gigs, die aber sowohl von den Musikern, als auch von den Fans mit absoluter Gelassenheit hingenommen wird.

Schon ärgerlicher dürften Private Line, den vergeblichen Versuch empfunden haben, die Fans zum Anzählen eines Songs auf finnisch zu bewegen. Mit größter Engelsgeduld versucht Sänger Sammy den Anwesenden drei, kleine, finnische Zahlen zu soufflieren, aber es soll nicht wirklich gelingen. Insgesamt spielen Private Line ein durchweg ansprechendes Set und beweisen eindrucksvoll, dass auch richtig rotzige Rockmusik aus Finnland sich keinesfalls hinter dem Schaffen etwas softerer Landsmänner wie Ville Valo und Co. zu verstecken braucht.

Fazit: Zwei Bands gemeinsam an einem Abend fallen unter die Kategorie Konzert. Mischt sich spontan eine dritte Band mit ins Geschehen ein, darf man guten Gewissens von einem kleinen Festival sprechen. Und dieses Festival war ein wahres Fest! Drei Bands, die im Gesamtbild betrachtet neben großen Unterschieden, auch viele Parallelen aufgewiesen haben, harmonierten an diesem Abend perfekt miteinander und konnten das Publikum durch die Bank weg überzeugen.

Mein ganz persönlicher Favorit dieser Veranstaltung aber waren eindeutig die vier Jungs von Big Boy. Frei von jeder Erwartungshaltung hatte ich mich nach Bochum begeben, um mir ein eigenes Urteil über diese viel und heiss disskutierte Band bilden zu können. Nach einer absolut grossartigen Bühnenshow und einem überaus interessanten Interview, das ich im Vorfeld führen durfte, ist es mir nun ein leichtes Stellung zu beziehen. Auch wenn ich nicht zu leugnen vermag, dass diese Band ein ziemlich schräger Haufen ist, heute haben Big Boy in mir einen neuen Fan gewonnen. Und deshalb kann dieser Konzertbericht nicht besser enden, als mit ihrem wohl bekanntesten Song- und Albumtitel, denn dem ist einfach nichts mehr hinzu zufügen … „Hail the Big Boy“!!

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Pamela Stahl
Pamela Stahl ist ehemalige Mitarbeiterin von Mindbreed.