Die Ärzte – Es wird eng Tour 2007

„… wenn uns nichts mehr bleibt, als um Erlösung zu beten. Dann lasst sie uns preisen: DIE ÄRZTE, die beste Band auf diesem Planeten!!!“
Mit diesem Zitat, frei nach der letzten Strophe eines ihrer größten Hits „Die klügsten Männer der Welt“ soll er nun beginnen – der Rückblick auf einen Konzertabend der Extraklasse in der Dortmunder Westfalenhalle. Denn treffender als Bela B. selbst es getan hat, kann man dieses Ereignis wohl kaum bezeichnen.
Eine der grössten Bands der deutschen Musikgeschichte liess Dortmund erbeben und drei Generationen von Fans feierten ihre Helden in den Himmel.

Wir schreiben den 18. November 2007: Die Züge der Deutschen Bundesbahn fahren endlich wieder, der Wettergott ist zumindest halbwegs milde gestimmt und die Ärzte aus Berlin spielen an diesem Abend ihr letztes von insgesamt drei Konzerten in der Dortmunder Westfalenhalle.

Während der knallharte Fan natürlich schon seit dem frühen Vormittag in Dortmund campiert, um auf jeden Fall eines der heiss begehrten „1. Welle-Bändchen“ zu ergattern, trudelt der Durchschnittskonzertbesucher ungefähr eine Stunde nach Beginn des offiziellen Einlasses ein. Beim Anblick der nicht enden wollenden Menschenschlange, die sich noch um 19.00 Uhr einmal um die ganze Westfalenhalle zu wickeln scheint, rutscht einem spontan ersteinmal das Herz in die Hose. So mancher fürchtet wohl in diesem Moment den Anfang des Konzertes zu verpassen, doch diese Sorgen erweisen sich schnell als unbegründet.

Die Damen und Herren am Einlass und von der Security leisten beste Arbeit. Es geht mehr als zügig vorran und selbst unter den etwas tollkühnen Fans, die nur mit T-Shirt oder Top bekleidet in der Reihe stehen, gibt es deshalb wohl keine Erfrierungsopfer zu beklagen.

Abgesehen von ein paar leeren Sitzplätzen, ist die Westfalenhalle auch am dritten Abend in Folge ausverkauft. Für die Fans im Innenraum erweist sich das Tourmotto „Es wird eng“ jetzt als „fühlbare“ Realität. Aber Fans im Innenraum scheuen nun mal keinen Körperkontakt und das werden sie im Laufe des Abends auch immer wieder eindrucksvoll demonstrieren.

Die Stimmung ist schon vor Konzertbeginn mehr als ausgelassen. Es wird gefeiert, gegröhlt, gesungen und in weiser Vorraussicht auch schonmal die eine oder andere Laola geprobt. Als kurz vor Acht der erste Lichtassistent an einer schmalen Hängeleiter in schwindelerregende Höhen entschwindet halten viele erstaunt und beeindruckt die Luft an. Doch diese Atempause soll nur von kurzer Dauer sein, denn schnell wird klar, sobald alle Techniker auf ihren Positionen sind, geht die Show los.

Es ist 20.07 Uhr als das Licht erlischt und ein tiefes Grollen ertönt. Auch wenn man sie noch nicht sehen kann, weil der große schwarze Vorhang mit dem Knochen-Ä die Sicht versperrt, die Ärzte stehen bereits auf der Bühne und spielen den Opener „Himmelblau“ ihres brandneuen Albums „Jazz ist anders“. Zum letzten Drittel des Songs fällt der Vorhang endlich zu Boden und gibt die Sicht auf die Bühne frei. Jetzt sind die Fans nicht mehr zu halten, ein markerschütternder Jubelschrei ertönt – 3 Stunden Entertainment pur haben begonnen.

Schlag auf Schlag geht es zunächst mit „Dem Lied vom Scheitern“, der für Januar 2008 geplanten zweiten Singleauskopplung und etwas überraschenderweise dem Klassiker „Wie am ersten Tag“ weiter, bevor sich die drei Herren aus Berlin zum ersten, aber gewiss nicht zum letzten mal, persönlich an ihr Publikum wenden. Neben den üblichen Begrüßungsformalitäten klärt Farin Urlaub an dieser Stelle, den möglicherweise bisher noch Ärzte-Konzert unerprobten Besucher darüber auf, dass ihn nun ungefähr vier Stunden Spass mit einem bisschen Musik dazwischen erwarten würden.

Gut wir wollen nicht lügen, vier Stunden Konzert sind es an diesem Abend nicht geworden. Aber glatte drei Stunden Bühnenshow sind definitiv nicht minder spektakulär. Da kann sich so manche Band, die gerade mal eine Stunde Livekonzert gemeistert kriegt, eine gehörige Scheibe von abschneiden. Das Relationsverhältnis von Publikumsbespaßung und musikalischer Darbietung erweist sich ebenfalls, als ein wenig überspitzt dargestellt. Die Ärzte bleiben an allererster Stelle selbstverständlich immer Musiker, auch wenn hier gewiss keinem der Drei die Ambition oder gar das Talent zum Stand-up Comedian abgesprochen werden soll.

Denn es ist ja gerade diese gelungene Mischung aus Musik, den Wortgefechten der drei Herren untereinander und der unermüdlichen Publikumsanimation, die den einzigartigen Charme eines Ärzte-Konzertes ausmacht. Selten hat man eine Band gesehen, der es mehr Spass macht, ihr Publikum dazu zu bewegen, jeden erdenklichen Quatsch mitzumachen. Noch erstaunlicher ist da nur, wie willig sich Selbiges bereit erklärt, auch der absurdesten Anweisung gehorsamst Folge zu leisten. So werden wir an diesem Abend Zeuge und Teil einer nahezu unendlichen Welle der unterschiedlichsten Laola-Formationen. Die gemeine Laola hat von nun an wohl für immer ausgedient. Es lebe die Handylaola, die Abzähllaola, die Trampellaola und nicht zu vergessen die Dreh-dich-um-die-eigene Achse-Laola.

Auch wenn sich vorallem Belas Laola Vorschläge nicht so wirklich in die Tat umsetzen liessen, muss man kein Prophet sein, um vorrauszusehen, dass die bisherige Laola Liste im Laufe der Tour, sicherlich noch um die eine, oder ander Variante ergänzt werden wird.

Von der Tribüne aus betrachtet erweisen sich solche Aktionen jedenfalls als wahrer Augenschmaus. Gleiches gilt für den Blick auf den pogenden Innenraum. Auch bisher pogounkundige Besucher bekommen nun zumindest einen optischen Eindruck davon, was man sich bitte unter einer „Wall of death“ vorzustellen hat. (Vorallem die ältere Generation unter den Ärztefans dürfte unendlich dankbar gewesen sein, dieses Spektakel aus sicherer Entfernung betrachten zu können) Wesentlich besinnlicher, aber nicht minder beeindruckend wird es wenn bei ruhigen Nummern wie „1/2 Lovesong“, oder auch „Mach die Augen zu“ überall im Saal kleine Lichter in Form von Wunderkerzen, Feuerzeugen, Handydisplays und sonstiger Leuchtutensilien aufglimmen. Aus einer wild durcheinander hüpfenden Menschenmasse formt sich urplötzlich eine harmonisch, schunkelnde Einheit – Gänsehautfeeling pur.

Aber bevor die Stimmung zu romantisch werden kann, reissen die Ärzte das Steuer wieder um und erfinden spontan zu „Westerland“ ein „We will rock you“-Mitgröhl-Intro oder überzeugen die Fans zu dem funkigen Song „Deine Freundin….“ das „Pflegeleicht“ zu quietschen. Und ob man will oder nicht, man muss es einfach zugeben. Gerade dieser Song, der als Albumversion, nicht unbedingt zu den eingängigsten Stücken zählt, entwickelt sich live gespielt zum absoluten Überflieger.

Neben vielen neuen Songs wissen besonders selten gespielte Schätze wie „Ist das alles“ oder „Sie kratzt, sie stinkt, sie klebt“ zu begeistern. Aber auch die üblichen Verdächtigen wie „Zu spät“, oder „Schrei nach Liebe“ dürfen hier nicht fehlen. Schade bleibt, dass bei den neuen Songs auf den bittersüssen Titel „Nur einen Kuss“ verzichtet wurde. Zu gerne hätte ich diesen Titel live performt gesehen. Doch wir wollen gerecht bleiben, selbst bei einer Gesamtspielzeit von drei Stunden können die Ärzte nun wirklich nicht jeden gewünschten Titel spielen.

Um zehn vor Zehn veraschieden sich Bela, Farin und Rod zum ersten mal an diesem Abend von ihren Fans. Die Zugabe Rufe beginnen erst nur zögerlich, schliesslich ist fast jedem klar, dass jetzt noch nicht Schluss sein kann. Doch der Lärmpegel steigt schnell in die Höhe und schliesslich ist es Rod, der zunächst alleine wieder auf der Bühne erscheint. An seinem fahrbaren Keyboard stehend, auf das er zu Recht sehr stolz zu sein scheint, stimmt er den Song „Dinge von denen“ an. Kurze Zeit später soll der Spaßfaktor des Abends seinen absoluten Höhepunkt erreichen, denn plötzlich stürmen Farin Urlaub als Pinguin und Bela B. als Biene Maja verkleidet die Bühne, um den armen Rod mit möglichst schrägem Aussehen und ebensolchem Gesang aus dem Konzept zu bringen. Dieser Auftritt ist so herrlich albern, dass er selbst die eigenwilligen Tanzeinlagen zu „Elektrobier“ und den superniedlichen, weil barbie-rosa-farbenen Verstärker, der eigens für Belas Gitarrenpart in „Tu das nicht“ auf die Bühne „geschwebt“ kommt, weit in den Schatten stellt.

Die Ärzte verlassen insgesamt noch dreimal die Bühne, kehren aber immer wieder zu den jubelnden Fans zurück. So recht wollen und können sich Künstler und Publikum einfach nicht voneinander trennen. Grossen Anklang findet bald darauf Farin Urlaubs Idee, dass sich ein Fan einen Song wünschen darf. Da es sich bei dem glücklichen Auserwählten um einen Tribünengast handelt wird der Wunschtitel kurzerhand mittels „Stiller Post“ nach vorne weiter getragen. Der gewünschte Song entpuppt sich schliesslich als „Elke“. So wirklich begeistert zeigen sich die Musiker von der Titelwahl zwar nicht, aber der Kunde ist in diesem Fall König. Also wird ein letztes mal während dieser Tour dem wohl berühmtesten Ärzte „Groupie“ namens Elke gehuldigt. Ein letztes mal deshalb, weil an den Wunschsong, die Bedingung geknüpft ist, dass er während der folgenden Auftritte nicht mehr gewünscht werden darf.

Nach „Elke“ folgt „Unrockbar“. Farin Urlaubs Vorschlag, dass sich bei diesem Song doch mal das komplette Publikum, samt Innenraum, hinsetzen könnte, stösst nun selbst bei den Mitmach-Aktionen erprobten Fans auf Verwunderung. Schliesslich weiss doch wirklich jedes Kind, dass man bei …. den Beatsteaks beim besten Willen nicht ruhig sitzen bleiben kann. Doch der Gruppenzwang siegt schlussendlich. Niemand will der jenige sein, den alle sehen können, weil er doch stehen geblieben ist. Als Zuschauer auf der Tribüne mit eigenem Sitzplatz befindet man sich hier mal wieder, ganz klar im Vorteil.

Als letzten Song dieses Abends schmettern uns die Ärzte dann noch eines ihrer eigenwilligsten Werke „Dauerwelle vs Minipli“ um die Ohren. Es ist inzwischen kurz nach 23.00 Uhr, die Fans sind geschafft aber glücklich. Unter frenetischem Jubel bedanken sich Farin Urlaub, Bela B. und Rodrigo Gonzalez bei ihrem Publikum und verlassen schliesslich um ein weiteres dutzend BHs reicher die Bühne.

Auch nach über zwei Jahrzehnten Bandgeschichte haben die Ärzte nichts von ihrem anfänglichen Reiz eingebüßt. Vielmehr hat sich diese Band im Laufe der Jahre zu einem generationenübergreifenden Phänomen entwickelt. Menschen, die den Indizierungsskandal rund um „Geschwisterliebe“ seinerzeit in der 80ern live miterlebt haben, besuchen heutzutage, gemeinsam mit dem eigenen Nachwuchs an der Hand, Ärzte Konzerte, wohlwissend dass die drei Herren aus Berlin noch immer kein Blatt vor den Mund nehmen.

Doch trotz des ganzen Klamauks und eines bisweilen schon sehr derben Gebrauchs der deutschen Sprache, ist schon lange klar, dass man die Ärzte keinesfalls unterschätzen und als reine Spaßband abstempeln darf. Wie keine andere Band beherschen die Ärzte den gewaltigen Spagat zwischen anspruchsvoller Musik mit genial subtilen Inhalten und Texten und dem absoluten, aber nicht minder brillianten Hirnschwund.

Neue Bands werden kommen und gehen, aber jeder Besucher der am vergangenen Sonntag miterleben durfte wie die Ärzte die Dortmunder Westfalenhalle zu Brei gerockt haben, wird bestätigen können, dass Sie den Titel „Beste Band der Welt“ zu Recht tragen.

Und was ist das Beste an der besten Band der Welt? Zu jeder Lebenslage haben die Herren Urlaub, Felsenheimer und Gonzalez stets den richtigen Soundtrack samt Message auf Lager. Und genau deshalb beende ich diesen Konzertrückblick nun, währen ich noch immer in wohligen Erinnerungen schwelge, was gottlob niemand hören kann, lauthals singend: „…. diese eine Liebe wird nieee zu Ende geh´n. Wann werd´ ich SIE wiedersehen???“

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Pamela Stahl
Pamela Stahl ist ehemalige Mitarbeiterin von Mindbreed.